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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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berichten, erzählte Kit von seiner glücklichen Kindheit in Maine, von Spaziergängen mit Eltern und Geschwistern in den Wäldern, wo sie seltene Blumen ausgruben, von Abenden am Strand, wo sie zwischen den Felsen im eisigenWasser Muscheln suchten. Bei derVorstellung dieser Gruppe wunderschöner Menschen – denn gewiss sahen sie alle aus wie Kit –, die zum fröhlichen Gezwitscher von Grasmücken durch die leuchtend grünen Wälder von Maine streiften oder windumtost bis zu den Knien in der Gischt standen, packte Miranda die Sehnsucht nach Maine. Der Kiefernduft. Der Wind, der weißeWolken über den endlos weiten blauen Himmel jagte. Zwar musste Miranda einräumen, dass es auch hier am Compo Beach nach Kiefern duftete und dass der Wind hier genau solche weißenWolken über den endlos weiten blauen Himmel jagte, was sie vermutlich überhaupt erst auf Kiefern undWolken und endloseWeite gebracht hatte, aber sie sehnte sich dennoch nach Maine, der Landschaft von Alex Katz und E.B. White.
    »Ich habe Hummer bei einer Bar-Mizwa für ganz normal gehalten …«, sagte Kit gerade.
    Miranda lächelte ihm zu. Sie sah den schlafenden Henry an, dessen rosa Mündchen an Kits Schulter gedrückt war, und lauschte Kit aufmerksam, ohne ihn zu hören. Seine Geschichten waren der reine Luxus, eine echte Erholung. Keine Qualen, keineTragödien. Nur zärtlich versonnene Erinnerungen. Sie hatte noch nie solche Augen gesehen. Sein bester Freund Seth, sagte Kit gerade, und seineWorte wehten über Miranda hinweg wie eine erfrischende Brise. Hellgraue Augen, so weit und durchscheinend wie Luft – sieh sie nur an –, mit dichten dunklen Wimpern oben und unten, die an Wimpern von Pferden erinnerten. Seine Augen waren so ausdrucksstark wie die eines Stummfilmstars. »Bei Seths Bar-Mizwa …«, sagte Kit. Bar-Mizwa, dachte Miranda und versuchte, sich auf seineWorte zu konzentrieren. Seths Bar-Mizwa.Vermutlich war sie so alt wie Seths Eltern. Aber sicher in besserem Zustand als Seths Eltern, die sie sich als runzlige ältere Leutchen mit identischen Laufschuhen und gelbgrünen Fleecejacken vorstellte. »Als Horsd ’ œuvre Austern und gehackte Leber …«, sagte Kit.
    Henry wachte auf, und Kit hob ihn aus demTragegestell. Dann sahen Miranda und er zu, wie Henry ein Loch in den Sand buddelte. Die Luft war kühl, das Morgenlicht weich und klar, und Miranda dachte bei sich, dass dies gewiss die schönste Zeit des Jahres war.
    Aber ich bin zu alt, dachte sie, und Kit ist zu jung.
    Kit nahm ihre Hand und legte sie an seine Lippen.
    Jetzt fiel Miranda ein, dass Kits Eltern auf jeden Fall viel älter waren als sie, da Kit das jüngste von vier Kindern war, die alle im Abstand von drei Jahren geboren waren. Und sie verstanden sich so gut, Kit und Henry und sie.
    Miranda kniete sich unvermittelt in den Sand und formte mit den Händen einen kleinen Sandhaufen. »Burg«, sagte sie.
    Henry nickte eifrig. »Ja«, sagte er. »Burg.«
    Miranda sann darüber nach, wie es sich anfühlte,Tag fürTag mit diesem quicklebendigen kleinen Menschen zusammenzuleben, der einen mitten in der Nacht mit durchweichter Windel wegen eines schlimmenTraums aus dem Schlaf riss; der mit einem klebrigen Löffel auf den Tisch hämmerte und im Supermarkt nach Frühstücksflocken grapschte und dabei schrille Schreie ausstieß wie ein kleines Äffchen.Wenn Henry weinte, legte sich schlagartig sein gesamtes Gesicht in Falten. Jetzt weinte er gerade nicht, aber es würde gewiss bald wieder passieren, aus Gründen, die Miranda niemals vorhergesehen hätte: eine Kugel Eis, die in den Sand fiel; ein erbeuteter Zigarettenstummel, der ihm weggenommen wurde; der Sand selbst, der plötzlich auf der Haut juckte und Angst machte, der Wind, das Donnern derWellen, eine Möwe, die zu dicht über ihre Köpfe hinwegflog. Alles Mögliche konnte der Auslöser sein. Aber jetzt hockte Henry am Boden und bohrte mit einem Stock Löcher in den Sand. Das gelbe Morgenlicht umschmeichelte ihn. Sein Gesicht war hinreißend ernsthaft.
    Miranda spürte, wie jemand ihr Haar berührte, und blickte auf. Es war Kit, der zu ihr herunterlächelte. Sie hatte beinahe vergessen, dass er auch noch da war.
    Einmal fragte Miranda Kit, warum er nicht wieder in seinerWohnung in der Stadt oder inTante Charlottes großem Haus lebte.
    »Ich weiß, diese Behausung hier ist romantisch und wunderhübsch und alles«, sagte sie und blickte sich im Bootshaus um. Es gab drei Räume, in glänzendem, an Schiffslack erinnerndemWeiß

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