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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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sich nach einem Ersatz für sie selber umzusehen. Heute wäre die Gelegenheit günstig gewesen, heute war er ja schon fast dazu bereit gewesen, Kathi den Laufpaß zu geben. Das war jetzt versäumt. Und es war auch klar, daß sie nicht etwa versuchen durfte, einen neuen Angriff überstürzt und allzu bald zu wiederholen. Aber was konnte inzwischen nicht alles geschehen? Dieses dicke Frauenzimmer war ein gefährlicher Gegner. Welch ein raffinierter, heimtückischer Einfall von ihr, Hellwang das Bild seiner Frau auf den Schreibtisch zu legen.
    »Sie haben sich oben wohl häuslich niedergelassen...?« rief Hellwang herauf, »oder wollen Sie den Mosel warm werden lassen?«
    Fräulein Zögling riß sich zusammen: »Oh, ich hebe nur ein paar Blätter auf, die der Luftzug vom Schreibtisch geweht hat.« Sie griff nach dem Foto und stellte es an seinen alten Platz zurück. Dann schloß sie die Fenster und löschte das Licht. Ein Nachtfalter, der von der Helligkeit angelockt in das Zimmer geschwirrt war, trommelte verzweifelt gegen die Fensterscheiben.

DER KRACH

    Auch der neue Tag zog strahlend herauf, kein Wölkchen trübte die Bläue des Himmels. Die Spezln der Hellwang-Kinder fanden sich schon am frühen Morgen im Garten ein. Der Stangl Toni, der Lydia heimlich liebte und von ihr ziemlich gnädig behandelt wurde, weil er die Guttibüchsen in seines Vaters Gemischtwarenhandlung plünderte und die Beute Lydia getreulich zu Füßen legte; die Mühlbauer Resi, die ihrerseits den Toni umgirrte und Lydia, leider völlig erfolglos, abspenstig zu machen versuchte; und eine Schulfreundin von Britta, Michaela Nebelschütz mit Namen, deren Vater Ingenieur war und zurZeit in Karatschi in Pakistan ein Kraftwerk baute. Mit den indischen Briefmarken und den kleinen Ebenholzschnitzereien, die er heimschickte, trieb Michaela einen schwunghaften Tauschhandel.
    Die Kinder spielten >Preußisch Fangermandl<. Der drollige Name war eine Erfindung von Britta. Sie hatte das Spiel aus den letzten Sommerferien mitgebracht, die sie bei den Großeltern erlebt hatte. Wahrscheinlich fand sie die Bezeichnung, die im Norden üblich war, anstößig. Hellwang entsann sich nämlich, Preußisch Fangermandl in seiner Kindheit unter der Bezeichnung >Dridrigreifchen mit Popoanschlag< gespielt zu haben. Kein Sprachgelehrter hatte ihm jemals verbindliche Auskunft darüber geben können, was es mit diesem merkwürdigen >Popoanschlag< für eine Bewandtnis hatte, denn daß das ominöse Wort nichts mit dem rückwärtigen Körperteil zu tun hatte, ging schon daraus hervor, daß der Fänger nicht dem Gejagten auf den Allerwertesten, sondern am Mal gegen die Wand klopfte, und zwar zweimal hintereinander, wobei er den Namen des Entdeckten oder Ergriffenen rief. Der bekannte Romanist Ziemer hatte die Ansicht vertreten, der Popo wäre eine Verballhornung aus dem italienischen Doppo, also Dridrigreifchen mit Doppo-Anschlag, worauf auch der Doppelschlag des Fängers am Mal hindeute, nun ja...
    Jedenfalls war >Preußisch Fangermandl< eine Verbindung zwischen Greif- und Versteckspiel. Es war eine aufregende Angelegenheit, und die Kinder waren für gewöhnlich unermüdlich darin. Aber heute waren weder Britta noch Lydia so recht bei der Sache — allerdings mit einem gewissen Unterschied. Während Lydia erwartungsvoll und gespannt aussah, machte Britta einen mutlosen und fluchtbereiten Eindruck. Kathi hatte nämlich am Morgen auf Wunsch des Fräuleins den großen Warmwasserboiler eingeschaltet, und die Sieglinda hatte beim Frühstück allgemeine Haarwäsche angesagt und den Kindern verboten, den Garten zu verlassen.
    Der Stangl Toni war an der Reihe >einzuluren<. Er stand am Freimal neben der Haustür, preßte die Fäuste vor die Augen und wartete auf das >Gilt!<-Geschrei der Kinder. Söhnchens verantwortungsvolle Aufgabe bestand darin, den Einlurer zu überwachen und ein lautes Geschrei zu erheben, wenn der etwa mogelte oder durch die Finger hindurchzuschielen versuchte. Die Kinder huschten zu ihren Verstecken. Michaela hoffte Tonis Adlerblick hinter der Thuyahecke zu entgehen. Die Mühlbauer Resi schlüpfte in die Garage und deckte ein paar alte Düngekalksäcke über sich, aus denen weiße Staubwolken emporwirbelten. Britta und Lydia hoben einen Tretrost vom Lichtschacht des Ölkellers ab und krochen hinein.
    »Sakra, sakra, dös gibt heut was!« flüsterte Britta ängstlich.
    Lydia drückte den verzinnten Tretrost in die Fugen und drückte sich eng in eine Ecke des

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