Die drei Hellwang-Kinder
Schachtes. »Pst, sei stad!« wisperte sie, »der Toni schleicht schon umeinand’.« Tatsächlich knirschten die schleichenden Schritte des Fängers auf dem Kiesweg heran, aber das Versteck war zu raffiniert gewählt, er tappte daran vorbei und näherte sich vorsichtig der Garage, um zuerst einmal dort Umschau zu halten. Britta näherte ihren Mund Lydias Ohr.
»Du, Lydia, ich schenk dir mei’ silberne Halsketten mit dem roten Herzlanhänger, wenn du dich ins Zimmer von der Sieglinda ‘naufschleichen tust und die Flasche, na du weißt schon, ausgießt.«
Lydias Gesicht drückte eisige Ablehnung aus. Sie schüttelte energisch den Kopf: »I denk auch nicht mal dran!«
»Ich schenk dir, was du haben willst, Lydia! Ich schenk dir das Korallenarmband, das mir der Konni aus Afrika mitgebracht hat — oder die blaue Handtasche mit allem, was drin ist...«
»Feige Spinatwachtel, feige!« zischte Lydia ihr wütend und verächtlich entgegen, »gestern hast’s net derwarten kenna, und heit, wo’s soweit is, hast Bollen. Geh zu! Was kann schon pas-siern, als daß wir vom Konni paar gschmiert kriegen?«
Oben tobte die wilde Jagd an ihnen vorüber. Der Toni hatte die Mühlbauer Resi entdeckt und raste zum Freimal zurück, während gleichzeitig Michaela Nebelschütz aus ihrem Versteck in der Hecke herausschoß und langbeinig über den Rasen rannte, um dem Toni zuvorzukommen und sich frei zu schlagen. Der Toni brüllte »dri dri Resi!« und »dri dri Michaela!«, aber gleichzeitig mit ihm schrie Michaela »dri dri frei!« — und schon gab es einen wilden Streit darüber, wer von ihnen früher am Mal gewesen war.
Britta lauschte flüchtig auf den Lärm: »Mir hat heut nacht fürchterlich geträumt«, flüsterte sie kläglich.
»So? Wovon hat dir denn traamt?« fragte Lydia wenig beeindruckt.
»Von der Flasche und von der Sieglinda. Sie hat sich das Haar eingerieben, und plötzlich ist ihr am ganzen Körper ein gelbes Fell gewachsen, und die Zähne haben ihr spitz und weiß aus dem Maul gebleckt, und Krallen hat sie gehabt wie ein Löwe. Und wir beide, du und ich, haben durchs Schlüsselloch geschaut, wie sie sich verwandelt hat. Und da haben wir eine furchtbare Angst bekommen, und sind in unser Zimmer gerannt und haben die Tür abgeschlossen und uns in den Betten verkrochen. Und nicht lange danach hat es an der Tür gekratzt, ganz leise, und die Sieglinda hat mit einer Stimme, die sich angehört hat, als wär’s die Stimme von der Luisa, gewispert, wir sollten ihr doch aufmachen und sie einlassen. Von dem Kratzen und von dem Wispern ist auch Söhnchen aufgewacht. Und wir haben geschrien, er soll nicht aufmachen, aber er hat gesagt, es ist doch unsere Mamma, und hat den Schlüssel umgedreht. Und da ist die Sieglinda, die Löwen-Sieglinda, verstehst, mit einem Satz hereingesprungen, gerade auf mein Bett — und da hab’ ich so laut geschrien, daß ich davon aufgewacht bin. Und gezittert hab’ ich...«
»Und ich? Was hat der Löwe mit mir gemacht?« fragte Lydia ziemlich kleinlaut. Der schreckliche Traum hatte auf sie doch einen mächtigen Eindruck gemacht, und sie war nicht mehr so kühn und unbekümmert wie vorher. Denn Träume hatten nun einmal was zu bedeuten, das war ganz sicher. In Kathis ägyptischem Traumbuch< hätte man die Deutung des Traumes leicht erfahren können, da stand alles drin, schwarz auf weiß und nach dem Alphabet geordnet, von Aalen bis zu Zuckerhüten.
»Was sie mit dir gemacht hat, hab’ ich nicht mehr sehen können, weil ich doch schon vorher aufgewacht bin, als sie mir auf die Brust gesprungen ist mit ihren gräuslichen Krallen und spitzigen Zähnen«, bekannte Britta wahrheitsgemäß; »aber eins darfst glauben, der Traum hat nix Gutes zu bedeuten!«
Lydia atmete erleichtert auf: »Das glaub ich gern, aber wenn du nicht weißt, was sie mit mir angestellt hat, dann mein ich, wird’s dich dieses Mal wohl auch nur allein erwischen.« Ihre Feststellung war nicht gerade ein Trost für Britta. —
In diesem Augenblick aber erscholl von der Terrasse her laut und gebieterisch Fräulein Zöglings Ruf: »Britta und Lydia, kommt sofort zu mir!«
Britta krümmte sich zusammen und zog den Kopf zwischen die Schultern. Ihr Gesicht war ein inbrünstiges Flehen um das Wunder, jetzt in der Erde versinken zu dürfen oder in einen gnädigen Nebel eingehüllt zu werden. Aber weder öffnete sich der Boden unter ihr, noch zog eine gütige Hand eine Tarnkappe über sie. Im Gegenteil, Lydia stemmte den
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