Die drei Hellwang-Kinder
gewesen.
»Nach dieser Rechnung wäre ich also gerade vierzehn geworden«, sagte sie mit einem kleinen, gurrenden Lachen.
Kathi schoß die Galle ins Blut. Es zuckte ihr in den Fingern, den schwarzen Marmorwürfel zu packen, den Hellwang als Briefbeschwerer benutzte, und ihn dem koketten Luder aufs Hirnkastl zu schmeißen. Sie hörte nicht hin, was Hellwang weiter an schwermütigen Weisheiten verzapfte, sie sah nur, daß die Neue ein wenig ungeduldig mit den Beinen zappelte, so daß ihre Knie unter dem kurzen Rock zum Vorschein kamen, runde Knie in Nylons, deren Gewebe im Kerzenlicht rötlich aufschimmerte. Wenn Hellwang es nicht bemerkte, so bemerkte es Kathi um so deutlicher — und ihr wurde himmelangst. Vorläufig redete er ja noch sozusagen nur theoretisch darüber, daß er sich so um die zwanzig herum fühle. Aber wie lange noch? Solch sternenklare, laue Sommernächte hatten es in sich! Kathi wußte das aus eigener Erfahrung nur zu gut. Und die Neue sah gerade so aus, als ob sie den Apfel vom Baum der Erkenntnis schon gepflückt hätte und nur noch auf den günstigen Augenblick wartete, wo er Appetit bekam und hineinbiß...
Kathi schob sich lautlos vom Fensterbrett ab. Das reglose Lauschen war beschwerlich und gefährlich, denn wie leicht konnte sie ein Niesreiz ankommen, oder der Grimm konnte sie so sehr übermannen, daß sie bei dem Getändel dort unten die Beherrschung verlor und der Neuen doch noch ein hartes Trumm auf die Reize ihrer Figur warf. Während sie zur Tür schlich, bemerkte sie plötzlich auf dem Bücherbord, wo Hellwangs Reisemitbringsel standen — tunesische beilförmige Fächer, altrömische Öllämpchen und marokkanische Messingkrüge — im mattblinkenden Silberrahmen Luisas Bild. Es lächelte auf sie nieder und — blinzelte ihr zu. Fast hätte sie sich durch einen Aufschrei verraten. Jessas naa! So sah ihr die selige Frau in diesem Augenblick auch gewiß von droben zu. Oder — wollte sie ihr etwa ein Zeichen geben? — Das Blut strömte zu ihrem Herzen zurück. Und einer raschen Eingebung folgend, überwand Kathi ihren Schrecken und ihre Scheu, nahm das Bild vom Bord herab und legte es mitten auf Hellwangs Schreibtisch, auf den halbbeschriebenen Bogen. Das sollte ihm zu denken geben! —
Unten hob Fräulein Zögling plötzlich aufmerksam das Gesicht: »Kam das Geräusch soeben nicht aus Ihrem Zimmer?«
Hellwang schüttelte den Kopf: »Ich habe nichts gehört...«
»Merkwürdig«, murmelte sie, »mir war es so, als sei im Haus eine Tür gegangen...«
»Wahrscheinlich geistert Kathi da oben noch herum«, meinte er, »oder manchmal ist es an solchen warmen Tagen auch das Holz, das im Dachstuhl arbeitet.«
Aber Fräulein Zögling blieb beunruhigt: »Vielleicht ist auch eines von den Kindern aufgewacht. Entschuldigen Sie mich für einen Augenblick, Herr Doktor, aber ich will doch lieber einmal nachschauen.« Sie erhob sich und ging ins Haus. Sie hatte einen ganz bestimmten Verdacht und hielt sich nicht eine Sekunde damit auf, ins Kinderzimmer hineinzusehen. Sie schaltete das Licht im Treppenhaus an, nahm die Stufen mit ein paar raschen Sprüngen und stieß die Tür zu Hellwangs Arbeitszimmer auf.
Nichts...Sie hob witternd die Nase. Nichts? Ein schwacher, kaum wahrnehmbarer Geruch nach Bittermandelöl hing in der Luft — nach Kathis Mandelseife. Sie schaltete in Hellwangs Zimmer die Deckenbeleuchtung an und sah sich mißtrauisch um.
»Hallo!« rief Hellwang herauf, »Sind Sie in meinem Zimmer?«
»Ja, Herr Doktor, ich bin’s — und ich werde bei dieser Gelegenheit gleich die Fenster schließen.« Und plötzlich fiel ihr Blick auf die Fotografie, die dort mitten auf dem Schreibtisch lag. Es gab gar keinen Zweifel, sie war für Hellwang bestimmt und vor wenigen Sekunden von Kathi auf diesen auffallenden Platz gelegt worden! Sie hatte das Geräusch also doch nicht nur in ihrer Einbildung vernommen.
Was aber wäre geschehen, wenn Hellwang sein Arbeitszimmer noch einmal betreten und das Bild gefunden hätte? — Sie grub die spitz zugeschliffenen Nägel in die Ballen. Das war also das Resultat der Unterredung, die Hellwang heute nachmittag mit diesem gemeinen Frauenzimmer gehabt hatte! Sie biß sich in die Faust. Ihre Lippen waren blaß geworden. Was für eine unverzeihliche Dummheit, daß sie nicht darauf gedrungen und darauf bestanden hatte, Kathi müsse hinausgeworfen werden — daß sie Hellwang nicht schärfer vor die Entscheidung gestellt hatte, entweder Kathi zu entlassen oder
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