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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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zündete die Lichter an, zwei dicke gelbe Wachskerzen in tulpenförmigen rötlichen Glaskelchen. Die Nacht war mild und still. Die Flammen brannten mit langen Zungen und überhauchten ihre Umgebung mit mattem Glanz. Um den weißen Tisch standen drei Sitzgelegenheiten herum, zwei bequeme Liegen aus Korbgeflecht und ein Korbsessel. Fräulein Zögling schob den Sessel bis ans äußerste Ende der Terrasse. Die beiden Liegen rückte sie näher zusammen, so daß ihr Abstand voneinander nicht mehr als eine knappe Armeslänge betrug. Dann eilte sie, da Hellwang auf sich warten ließ, rasch in ihr Zimmer hinauf. Sie fuhr mit der Puderquaste über Wangen, Stirn und Nase und verrieb einen Tropfen >Mille fleurs< an den Ohrläppchen.
    Kathi verließ gerade die Küche und wollte in ihr Zimmer hinaufgehen, als Hellwang mit der Flasche unterm Arm aus dem Keller kam. Sie wünschte ihm eine gute Nacht und wunderte sich ein wenig, da er sonst nicht die Gewohnheit hatte, allein und ohne besonderen Anlaß einer Flasche den Hals zu brechen. Allein? — Ihr Argwohn wurde plötzlich wach. Früher, da hatten sie an solch warmen Sommerabenden oft draußen auf der Terrasse zwei oder auch drei Flaschen geleert und bis in die tiefe Nacht hinein geschwatzt, die selige Frau und er...War es etwa schon so weit gekommen, daß die Neue auch hier an die Stelle der Frau rücken sollte, so wie sie schon den Platz der Verewigten einnahm, wenn er ihr aus seinem neuen Buch vorlas?
    Kathi stieg beunruhigt die Treppe empor und klopfte an Fräulein Zöglings Tür. Um eine Ausrede wegen der Störung wäre sie nicht verlegen gewesen. Aber sie erhielt keine Antwort. Sekundenlang stand sie wie erstarrt. Ihre Fantasie begann auf hohen Touren zu laufen und gaukelte ihr Bilder vor, die ihren Puls beschleunigten und ihre Handflächen feucht werden ließen .Sie tastete nach dem Lichtschalter. Das Treppenhaus sank in tiefe, undurchdringliche Finsternis. Kathi streifte die Schuhe von den Füßen und schlich auf Strümpfen zu Hellwangs Arbeitszimmer. Langsam und geräuschlos drückte sie die Klinke nieder. Ob wohl die Fenster offen standen? Ah, beide Fenster waren weit geöffnet. Ein scharfer Luftzug strömte ihr entgegen. Irgendwo im Haus stand eine Tür oder ein Fenster offen. Wenn die zuschlugen, gab es einen Krach, der sie verraten mußte. Sie zog die Tür hinter sich rasch ins Schloß. Von einer weit entfernten Straßenlaterne fiel ein schwacher Lichtschein ins Zimmer, der Kathi die Umrisse der Möbel schemenhaft erkennen ließ, aber sie hätte sich in diesem Raum auch blind zurechtgefunden. Kathi blieb atemlos stehen und lauschte. Sie hörte Hellwangs Stimme. Der Tisch, an dem die beiden unten saßen, befand sich genau unterhalb des rechten Fensters. Es war gefährlich, sich hinauszubeugen, das leiseste Kratzen am Fensterbrett, das Klirren eines Münzenknopfes an ihrem Dirndlgewand konnte sie verraten. Und wenn es auch dunkel war, der Mond war längst unter den Horizont getaucht, so finster war es nicht, daß man nicht im Kerzenschimmer oder in dem seitlich einfallenden Laternenschein ihr Gesicht entdecken konnte. Dennoch schob sie die Nase vorsichtig über die Fensterbrüstung.
    Die Neue lag lässig ausgestreckt in der einen Korbliege, Hellwang saß einen halben Schritt von ihr entfernt auf der anderen und schenkte gerade in die Gläser ein...
    »Achtunddreißig Jahre...«, hörte Kathi ihn sagen, »das ist mehr als die Hälfte eines Menschenlebens — aber wieviele von diesen achtunddreißig Jahren lebt man denn eigentlich bewußt? Doch höchstens zwanzig Jahre oder zwei oder drei darüber. Nein, das Leben beginnt nicht mit der Geburt, es beginnt dort, wo uns der Wunsch erfaßt, seine Oberfläche anzukratzen, um zu sehen, was dahinter steckt...«
    »Ach...!« sagte die Neue und verdrehte die Augen. Hellwang trank aus seinem Glase und setzte es auf den Tisch ab. Auch er streckte sich auf seiner Liege bequem aus und verschränkte seine Hände unter dem Kopf.
    »Achtunddreißig Jahre...« wiederholte er und blickte zum Himmel empor, über den eine Sternschnuppe ihre feurige Spur zog, »wissen Sie, man müßte weiser und gescheiter sein, wenn man sie voll gelebt hätte. Nein, nein, man darf die ersten zwanzig Jahre abstreichen und demnächst den neunzehnten wirklichen Geburtstag feiern.«
    Auch Fräulein Zögling verschränkte die Arme unter dem Kopf. Ihre rohseidene Bluse spannte sich über den Brüsten. Als sie ins Haus kam, waren sie bedeutend flacher

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