Die drei Hellwang-Kinder
die Figur von Charles George Gordon interessiere Sie? Oder die venezolanische Kolonie der Welser? — Seine Briefe bekamen immer dickere Fragezeichen.
Hellwang wand sich in Ausflüchten. Je wortreicher seine Briefe wurden, um so weniger enthielten sie. Er schrieb Sätze, die wie mit einem Pfropfenzieher hingedreht waren. Manchmal überfiel ihn eine panische Angst vor der Zukunft. Er glaubte, ausgeschrieben zu sein, ausgeblutet und ausgehöhlt. Gordon Pascha, die Welser, es waren nur noch leere Namen. Er hörte die Trommeln des Mahdiaufstandes nicht mehr dröhnen, und er sah nicht mehr vom Schanzdeck der tanzenden Karavelle über die flimmernde See, und hinter der kochenden Brandung erblickte er nicht mehr den blauen Küstenstreifen des geheimnisvollen Kontinents, der Gold, Gewürze und Reichtum versprach. —
Die Tage vergingen, ohne daß er sich an seine Versprechungen erinnerte, mit den Kindern wegzufahren, Kinos zu besuchen, zu baden, Schwammerl zu suchen oder zu wandern. Seine Angelgerten in den moosgrünen Futteralen standen unangetastet zwischen Schrank und Wand, und unangetastet blieben die kleinen, polierten Kästchen, in denen er seine künstlichen Fliegen und die Blinker und Wobbler aufbewahrte. Kathi holte sie beim Staubwischen vor und ließ sie scheinbar aus Versehen auf dem Tisch stehen. Wenn sie dann nach einer Weile nachschaute, hatte Hellwang sie wieder in den Schrank zurückgestellt. Kathi wurde deutlicher: »Vergangenes Jahr um diese Zeit haben Sie so schöne Aschen heimgebracht, Herr Doktor — und den Hecht, erinnern Sie sich noch auf das Trumm Hecht? Neun Pfund hat er gewogen...«
Hellwang winkte ungeduldig ab. Er verbrachte die Tage in seinem Zimmer, als sei der Funke, auf den er wartete und der das Feuer entzünden sollte, ein Gast, dessen Erscheinen er versäumen könnte, wenn er sich fern vom Haus aufhielt.
Die Mädel gingen wieder zur Schule. Sie atmeten auf, als die Ferien vorbei waren und als sie ihre Schulranzen zum erstenmal wieder packen durften. Das Leben daheim war unerträglich geworden, es ging dort wie in einem Krankenhaus zu. An den schulfreien Nachmittagen schlichen sie fort, in die Nachbargärten zu Spielgefährten, die sich Väter mit vernünftigen Berufen ausgesucht hatten. Söhnchen hing den ganzen Tag an Kathis Kittel.
»Allweil is er jetzt grantig, der Konni«, wisperte er ihr zu. Er hatte sich einen bösartigen Flüsterton angewöhnt und ging seinem Vater nach Möglichkeit aus dem Wege.
»Es ist ein rechtes Kreuz mit euch Mannsbildern!« seufzte Kathi auf. Ihr tapferes Herz war randvoll mit Sorgen beladen. Wenn es sich nur um Hellwangs Launen gehandelt hätte! Sie hatte breite Schultern und wenn es darauf ankam, ein unempfindliches, dickes Fell. Es hatte auch schon früher, zu Zeiten der seligen Frau, bei Hellwang Perioden der Erschöpfung und der ungeduldigen Vorbereitung für eine neue Arbeit gegeben, Zustände, wo er abgeschlossen, in sich gekehrt und ungenießbar gewesen war. Aber dieses Mal saß die Geschichte tiefer. Es sah aus, als sei ihm alles gleichgültig geworden und als verbinde ihn mit dem Leben nur noch ein hauchdünner Faden. Es gab Tage, an denen er vom Morgen bis zum Abend in dem alten grauen Morgenmantel herumlief, an dem sich schon die Motten gütlich getan hatten, ohne Kragen und Krawatte, vernachlässigt und mit dunklen Stoppeln auf Kinn und Wangen, daß man sich schämen mußte, wenn der Installateur kam oder der Briefträger oder der Zählerkontrolleur.
Aber das Allerschlimmste, was Kathi den heißesten Kummer bereitete, war, daß Hellwang den zündenden Rausch, auf den er vergeblich wartete, künstlich herbeizuführen versuchte. In der Anrichte, in der früher die Kognakflasche alt geworden war, wuchsen in kurzer Zeit ansehnliche Batterien leerer Flaschen an, lauter hochprozentige Schnäpse, und Kathi merkte erschreckt, daß Hellwang sich zuweilen schon einen hinter die Binde goß, bevor er noch gefrühstückt hatte. Sie versuchte es mit törichten, kleinen Kniffen, sie versteckte die Flaschen oder taufte die Spirituosen mit Wasser. Es war alles zwecklos.
In den ersten Tagen des Oktober hatte Britta Geburtstag. Ihr sehnlichster Wunsch war ein Fahrrad, ein Fahrrad mit viel Chrom, einem Kilometerzähler und weißen Reifen. Zwei Tage vor dem Geburtstag stieg Kathi zu Hellwang hinauf. Er saß am Schreibtisch. Ein Konzeptbogen lag vor ihm, auf dem ein paar Zeilen mit dicken, wütenden Strichen zum Teufel gejagt worden waren. Im Zimmer hingen
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