Die drei Hellwang-Kinder
wagten ihn nicht anzuschauen, als er ins Zimmer trat. Sie wollten sich still an ihm vorbeidrücken, um Kathi, die von dem Warten ja auch schon ganz >nervös< geworden war, die Hiobsbotschaft zu überbringen.
»Also, Kinder, Onkel Vollerthun schreibt, das neue Buch würde ein großer Erfolg werden«, sagte Hellwang und schwenkte den Brief matt in der Hand.
»Was?!« schrien die Mädel. »Und da machte er ein Gesicht wie die Katz’, wenn sie donnern hört?«
»Du, ich glaub’ fast«, sagte Lydia laut und empört, »er hat sich vor der Siegesfeier drücken wollen, der Konni.«
Nein, nein, er drückte sich nicht davor. Die >Siegesfeier< fand selbstverständlich statt. Nach dem Mittagessen putzte Kathi die Kinder heraus. Sie schnitt im Garten Rosen, Phlox, Zinnien und Wicken und legte vier Sträuße in den Wagen, die sollten sie auf Luisas Grab legen, denn auch Luisa sollte an diesem Tag ihre Freude haben. Sie trippelten in einer Reihe neben Hellwang durch die Hügelreihen des Waldfriedhofs und legten die Blumen unter dem rotgrauen Granitblock nieder. Söhnchen benahm sich ganz unfeierlich, er wollte seinen Strauß nicht hergeben. Die Mama war doch im Himmel, wie konnte sie da also unter diesem großen Stein schlafen? Die Mädel taten es Hellwang nach und starrten ernst auf den Hügel, den der Efeu langsam einzuranken begann. Aber zuweilen schauten sie sich heimlich an und blinzelten sich zu, als wüßten sie es besser als ihr Vater. Denn in ihren Herzen leuchtete ein Glanz von der frohen Gewißheit, daß dieser Erdhügel Luisa nicht ganz gefangen hielt, sondern daß etwas von ihr immer bei ihnen stand und immer bei ihnen stehen würde, daheim und überall.
So fuhren sie heiter und vergnügt in die Stadt und stopften sich in der Konditorei am Dom mit Schokolade, Erdbeertörtchen, Schlagrahm und Vanilleeis so voll, daß die nette Bedienung bei Lydias fünfter Bestellung Hellwang ernsthaft auf die möglichen Folgen solcher Gefräßigkeit aufmerksam machte. Später gingen sie noch ins Marionettentheater. Es wurde der >Kalif Storch< gespielt. Während des letzten Bildes fielen Söhnchen die Augen zu; er schlug sie erst wieder auf, als Kathi ihm daheim die Schuhe auszog und ihn ins Bett legte; da lächelte er satt und selig, kuschelte sich ins Kissen und schlief sofort ein. Lydia bekam von Kathi Baldriantropfen auf einem Stück Würfelzucker, denn sie jammerte über Bauchschmerzen.
Oben in seinem Arbeitszimmer wanderte Hellwang rastlos zwischen den Bücherborden hin und her. Durch die offenen Fenster strömte die Nachtluft mild herein. Der Mond glitt über den sommerlichen Himmel und streute sein silbernes Licht über den Rasen. Hellwang löschte die Lampe und trat ans Fenster. Durch das Sternbild des Schwanes zog ein Satellit seine eilige Bahn. Hellwang warf den Rest seiner Zigarre auf den Rasen. Sie traf das Blatt einer vergessenen Kinderschaufel und versprühte einen roten Funkenregen. Auf dem Schreibtisch lag Vollerthuns Brief.
Erfolg — Erfolg — Erfolg...Gewiß, es war erfreulich, daß ihn für einige Zeit keine Sorgen brennen würden, daß das Leben wieder einmal gesichert war, daß er Atem schöpfen konnte, Atem für ein neues Werk. Für ein neues Werk? Eine unbekannte Furcht schlich in sein Herz. War Vollerthuns Begeisterung für das kürzlich beendete Buch echt? Spürte er nicht die Bruchlinie darin? Spürte er nicht, daß das Buch in zwei Teile zerfiel, von denen nur der erste warm und lebendig war? Die Bruchlinie hatte ein Datum. Luisas Todestag. Was danach entstanden war, schied sich nach Hellwangs Meinung so deutlich von den ersten Kapiteln, als wären diese als hinterlassenes Fragment von der schwächeren Feder eines Fremden ergänzt und zu Ende geführt worden.
Eine neue Arbeit? An Stoffen fehlte es nicht. Aber was war schon der Stoff allein? Er wartete. Er wartete und hoffte, eines Morgens zu erwachen und wieder jenem quälenden, herrlichen Zustand zu verfallen, der ihn früher an den Schreibtisch gedrängt und dort fiebernd festgehalten hatte, bis in den Gestalten, die er formte, der lebendige Puls lebendiger Geschöpfe schlug. Aber er wartete auf die befeuernde Eingebung vergebens.
>Lorbeer für fremde Fahnen< wurde ein Erfolg. Vollerthun behielt recht. Das Buch schlug ein. Auch >drüben<. Aber Vollerthuns Briefe schlossen stets mit immer dringlicher werdenden Fragen: Woran arbeiten Sie jetzt? Weshalb melden Sie sich nicht? Wo bleibt der neue Hellwang? Erzählten Sie mir nicht vor einiger Zeit,
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