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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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dicke Rauchschwaden. Seit einigen Wochen rauchte er Zigaretten, und im Aschenbecher häufte sich ein Hügel von Korkmundstücken. Er warf den Kopf herum und starrte Kathi feindlich an: »Was wollen Sie denn schon wieder?!« Es hörte sich gerade so an, als würde er vom frühen Morgen bis zum späten Abend von ihr belästigt.
    »Britta hat übermorgen Geburtstag, Herr Doktor«, sagte Kathi mit unerschütterlicher Ruhe und Geduld, »ich wollte Sie nur daran erinnern.«
    »Und — und — und?« fragte er, und es klang, als würde er im nächsten Augenblick in Tränen der Wut ausbrechen, daß man ihm keine Ruhe zum Arbeiten ließ.
    »Sie wünscht sich gar so sehr ein Fahrradl.«
    Er riß die Schublade seines Schreibtisches auf, holte aus einer kleinen Stahlkassette drei Fünfzigmarkscheine hervor und warf sie ihr hin: »Da, nehmen Sie, kaufen Sie es ihr! Und lassen Sie mich zufrieden!« Er schlug mit den Knöcheln wütend auf das Papier: »Herrgott, Sie sehen doch, daß ich arbeite!«
    Kathi stopfte die Scheine in ihre Schürzentasche und ließ ihn allein. Am liebsten hätte sie ihn an den Schultern gepackt und wie einen ungezogenen, kleinen Buben gebeutelt und zusammengestaucht.
    Als Kathi Britta am Geburtstagsmorgen unter einem Vorwand vor die Haustür schickte, lehnte an der Wand ein funkelnagelneues Damenfahrrad mit verchromten Felgen, blauem Rahmengestell, breiten Pedalrückstrahlern, einer hocheleganten Beleuchtungsanlage, Kilometerzähler und Weißwand-Naturgummireifen, kurzum, der Traum von einem Fahrrad. Die Morgensonne blitzte in den Chromteilen, daß man vor lauter Glanz die Augen schließen mußte. Britta ahnte nichts, bis Kathi, die hinter ihr dreingeschlichen war und zur Haustür hinausspitzte, mit einem recht scheinheiligen Unschuldsgesicht fragte, wie ihr denn >der Karrn< gefiele.
    »Soll das meins sein?« stammelte Britta atemlos.
    Und Kathi nickte strahlend: »Ja, es g’hört dein. Kannst dich bei deinem Papa bedanken, da hat er was Nobliges ausgespuckt — hundertdreißig Markl!«
    »Der Konni?« fragte Britta, als könne sie es nicht glauben, daß er wirklich an ihren Geburtstag gedacht habe.
    »Ja, meinst denn du, daß ich’s dir von meinen Ersparnissen hing’stellt hab? Mittags wirst dich bei ihm recht schön bedanken, hast g’hört? Denk’ fei’ dran!«
    »Und ob ich dran denken werd!« Sie schwang sich selig aufs Rad und probierte eine Ehrenrunde auf der Terrasse. »A rassige Maschin’!« schrie sie begeistert, »grad laufen tut’s! — Du, Kathi, ich darf doch damit heut in die Schul’ fahren, gell?«
    »Aber nur heut, weil’s ein besonderer Tag ist. Und zum Mittagessen darfst dir auch ein b’sonders Schmankerl wünschen. Na, was magst denn haben?«
    »Eine ganze Schüssel Schokoladenpudding mit Vanillesoß’ — aber für mich ganz allein!«
    »Gut, die sollst haben.«
    Britta kam nicht dazu, sich an diesem Tage bei ihrem Vater für das noble Geburtstagsgeschenk zu bedanken. Er verließ das Haus, noch bevor die Kinder aus der Schule kamen und fuhr mit der Bahn in die Stadt. Er kam weder zum Kaffee noch zum Abendbrot zurück, aber die große Geburtstagstorte, auf der zwölf rote Kerzen brannten, schmeckte Kathi und den Kindern auch ohne ihn. In später Nacht rollte eine Taxe vor. Der Taxichauffeur führte Hellwang ins Haus. Oben beugte sich Kathi über das Treppengeländer. Die straff geflochtenen Zöpfe fielen steif über ihre Schultern. Sie wartete, bis der Chauffeur Hellwang in seinem Zimmer verfrachtet hatte und die Haustür hinter sich zuzog. Dann schlich sie in ihr Zimmer zurück, setzte sich aufs Bett und heulte.
    Ihre Hoffnung, an die sie sich die ganzen Wochen über geklammert hatte, daß Hellwangs Zustand eine Krankheit sei, von der er eines Tages genesen und sich mit klaren Augen erheben würde, zerbrach. Es war mit ihm von Tag zu Tag bergab gegangen, und sie wußte, daß es immer schlimmer werden würde. Er sauste wie ein fallender Stein in einen Abgrund, die Fahrt wurde immer schneller, und die Tiefe des Sturzes war nicht abzusehen.
    In dieser trüben, verzweifelten Stunde, in der Kathi sich einen Menschen herbeiwünschte, um ihr schwer beladenes Herz einmal richtig ausschütten zu können, kam ihr plötzlich ein Gedanke. Er schnellte wie ein Kork aus der schwarzen Flut ihrer Verzweiflung empor, und sie griff mit beiden Händen danach. Unter den Briefen und Karten, die Britta von der Verwandtschaft zu ihrem Geburtstag erhalten hatte, befand sich auch eine mit einem

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