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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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Pop-Art-Mobile, das vom Oberlicht aus in die Leere zwischen den Treppenabsätzen baumelte, und ein paar vereinzelte Gemälde an der Wand – alles in allem erinnerte es sogar noch mehr an eine Kunstgalerie als die Lobby. Schweigend stapften wir die Stufen hinunter.
    Beatrice verabschiedete sich von dem Mann an der Rezeption. Ich hob nicht einmal den Blick, darum wusste ich nicht, was er für ein Gesicht machte, als er bemerkte, dass wir fünf Minuten nachdem wir hinaufgegangen waren, schon wieder herunterkamen.
    »Und wohin jetzt?«, wollte Beatrice wissen.
    »Zurück ins West Village.«
    »Ach, wie schade. Dabei hast du so viel von New York noch gar nicht gesehen. Seit du hier bist, treibst du dich eigentlich immer nur in denselben Ecken herum.«
    »Na ja, immerhin bin ich vom Battery Park bis zum Central Park gekommen und von der West 33rd Street bis nach Brooklyn. Und das innerhalb nur einer Woche.«
    »Kommt mir schon viel länger vor«, erwiderte sie. »Hast du dir eigentlich überhaupt mal einen Stadtplan gekauft?«
    »Nein.«
    Sie schwieg unter dem Gewicht der unausgesprochenen Dinge, während wir die 6th Avenue hinunterliefen und ich unter dem Gewicht der ungestellten Fragen schwieg.
    Ich ging voran durch das Tor in den kleinen Garten nahe der Jefferson Market Library. Cat lag im Gras und Beatrice und ich setzten uns neben ihm auf eine Bank und sahen uns um.
    »Siehst du hier irgendwo Schmetterlinge?«
    »Nein, aber junge Schmetterlinge ernähren sich ja auch nicht von denselben Dingen wie erwachsene.«
    »Nein?«
    »Na komm, denk doch mal nach. Was sind denn junge Schmetterlinge?«
    »Raupen!«
    »Und was fressen Raupen?«
    »Salat?«
    »Sind das nicht Schnecken?«
    »Ach ja.«
    »Ich weiß nur, dass Raupen gerne auf Sal-Weiden leben, wie die da drüben.« Sie deutete auf eine kleine Weide.
    »Du weißt wirklich alles, oder?«
    »Ja. Ich fürchte schon.«
    »Tja, nenn mich ruhig einen Feigling, aber ich habe nicht vor, hier am helllichten Tag alles umzugraben. Ich warte lieber, bis es dunkel ist.«
    »Klingt doch nach einem guten Plan«, erwiderte sie.
    »Kannst du mir eins verraten?«
    »Was denn?«
    »Wie bezahlst du eigentlich deine Miete?«
    »Mit Mühe. Ich hatte ein bisschen was angespart, aber das ist schon alles weg. Ich brauche so schnell wie möglich einen Job.«
    »Nein, ich meine, wie genau machst du das? Wie funktioniert es? Was machst du, damit dein Geld bei deiner Vermieterin ankommt?«
    »Ich stelle einen Scheck aus«, entgegnete sie knapp.
    »Und wo schickst du den hin?«
    »An eine Adresse in Chelsea.«
    »In der Nähe des Hotels?«
    »Ja«, antwortete sie.
    »Und wen schreibst du als Empfänger auf den Scheck?«
    »Butterfly.«
    »Tomomi Ishikawa?«
    »Genau.«
    »Und wessen Namen schreibst du auf den Briefumschlag?«
    »Den ihrer Mutter.«
    »Kennst du ihre Mutter?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte sie und in dem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
    Cat blickte mich an und ich dachte einen Moment nach.
    »Kannst du mich zu ihr bringen?«
    »Ich gebe dir ihre Nummer. Dann kannst du sie anrufen.«
    »Ich finde, du solltest mitkommen.«
    »Nein. Ich glaube nicht, dass ich das sollte.«
    »Warum nicht?«
    »Ich glaube, wir sollten lieber alles so belassen, wie es ist«, entgegnete Beatrice.
    »Ich muss ihr ein paar Fragen stellen. Vielleicht erzählt sie mir ja ein bisschen was. Und selbst wenn nicht, dann kann ich daraus einiges schließen.«
    »Ich will nicht dabei sein.«
    »Bitte komm mit.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte ich. »Es wäre eben einfacher. Ich bin schüchtern.«
    »Auf mich wirkst du kein bisschen schüchtern.«
    »Manchmal bin ich es und manchmal eben nicht. Du hast mir einiges vorenthalten, das hast du selbst zugegeben. Und ich möchte gerne dein Gesicht sehen, wenn du mit etwas konfrontiert wirst, das wahr ist. Ich bin dir dankbar für all deine Hilfe, aber ich finde, du bist es mir schuldig, mit zu Butterflys Mutter zu kommen.«
    »Ich bin es dir schuldig? Ich glaube, da bringst du etwas durcheinander. Ich bin dir überhaupt nichts schuldig. Und um ganz ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, was ich überhaupt noch hier mache.«
    Sie hatte recht. Sie hätte einfach aufstehen und gehen können und ich hätte nie wieder etwas von ihr gehört. Und sie wirkte, als sei sie dazu imstande.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Ich finde trotzdem, du solltest mitkommen, aber zwingen kann ich dich nicht. Diese Entscheidung musst du selbst treffen.«
    Eine Sekunde

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