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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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lang blieb ihre Miene hart, so als überlegte sie, ob sie mir ins Gesicht spucken oder doch lieber aufstehen und mitkommen sollte.
    »Ich bringe dich morgen zu ihr. Und jetzt komm mit.«
    »Komm mit wohin?«
    »Komm einfach mit, ich lade dich auf einen Drink ein.«
    »Wieso?«
    »Zum Abschied.«
    »Ich verstehe gar nichts mehr.«
    »Weil ich nicht glaube, dass du nach morgen noch etwas mit mir zu tun haben willst.« Sie starrte mich an, ihr Gesicht ausdruckslos, und ich starrte zurück.
    »Ich zeige dir etwas, das du noch nicht kennst. Hier in der Nähe gibt es ein Viertel, das Meatpacking District genannt wird. Ziemlich gruselig und industriell und es riecht nach rohem Fleisch. Außerdem ist es gerade ziemlich in.«
    »Dann passe ich da ja hervorragend hin«, sagte ich.
    Beatrice stieß eine Art Lachen aus, doch sie lächelte nicht. »Wir setzen uns irgendwo hin und trinken ein Bier und reden über was anderes. Du kannst mir von England erzählen und wie es so war, als Kolonialherr aufzuwachsen, und ich erzähle dir von meinen Urlauben in Pennsylvania, als ich noch ein Kind war, oder wir vergleichen unsere Frankreicherlebnisse oder so, und dann lachen wir, blödeln ein bisschen rum und verabschieden uns, ich gehe nach Hause und du kannst dich auf die Jagd nach deinem letzten Schatz machen.«
    Ich starrte sie an. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Irgendwie musste ich sie gekränkt haben. Ich hätte nie darüber nachdenken sollen, sie zu küssen. Wahrscheinlich war sie eine Hellseherin oder so was.
    Wir standen auf und Cat blickte uns nach, als wir gingen. Er schien sich wohlzufühlen.
    Bis später, Cat.
    Als ich zurückkehrte, hing vor dem Gartentor ein Vorhängeschloss. Vom Bier beflügelt, ging ich auf die Rückseite der Bibliothek in der 10th Street, kletterte nach einem flüchtigen Blick in beide Richtungen über den Zaun und marschierte direkt zu der Weide. Cat kam und hockte sich neben mich. Ich verfluchte mich dafür, dass ich außer dem Edelstahl-Kuli immer noch nichts zum Graben dabeihatte. Versuchsweise bohrte ich ihn ein paarmal in die Erde, in der Hoffnung, zu finden, was ich suchte, ohne ein ganzes Bergwerk anlegen zu müssen. Wie tief würde sie hier wohl etwas vergraben?
    Vorsichtig begann ich, um die Wurzeln herumzugraben, um den Baum nicht zu verletzen oder auf irgendeine Weise zu stören. Ich fühlte mich wie bei einer archäologischen Ausgrabung. Ein paar Minuten später jedoch grub ich bereits mit beiden Händen, schob Erdklumpen beiseite und stach den Kugelschreiber tiefer in den Grund. Und dort, von Wurzeln umwuchert, stieß ich auf einen Plastikbehälter, eine kleine Tupperdose oder so. Ich zog sie heraus, schob die Erde zurück ins Loch und klopfte sie fest. Ich glaube nicht, dass der Baum gelitten hat.
    Cat und ich suchten uns ein dunkles Eckchen und setzten uns hin. Ich fand die Bonbons aus dem Chelsea Hotel in meiner Tasche und schnupperte an einem davon. »Ich mag keine Mandeln, Cat. Willst du vielleicht eins?« Cat beachtete mich gar nicht, also steckte ich die Bonbons wieder weg und öffnete die kleine Schatzkiste. Ganz obenauf, wie zum Schutz des restlichen Inhalts, lag ein mit einer Kinderhandschrift bedeckter Papierfisch.
    Zeitkappsel
    (Nich vor dem Jar 2000 öfnen.)

    15. Merz 1980
    Ich heiße Tomomi Ishikawa, aber alle Läute nenen mich Butterfly. Ich wone in einer grosen Statt die Nu Jork heist und eine der grösten Stätte auf diesm Planneten ist der Erde heist. Ich bin in der Grundschuhle und speter will ich mal aufs Coletsch. Meine Hobbis sind lesen, reiten und tannzn. Wenn ich gros bin will ich Lererin werden. Mein Liblingshaus ist die Scheffasn Maket Laibri, wail die so einen ungewönlichn Stiel für das Westwiletsch hat das am Hadsn Riwer in den Fereinchten Staten von Ammerika ligt. Das Wörld Treid Zenter ist das hochste Gebeude in Nu Jork. Unser President heist Jimmi Kater.
    Unter dem Brief lagen drei Schwarz-Weiß-Fotos, die ein kleines Mädchen mit langen schwarzen Haaren in demselben Garten zeigten, in dem ich gerade saß. Auf einem der Bilder war sie allein zu sehen und blickte in die Kamera, auf dem nächsten saß sie mit einer Frau zusammen auf einer Bank und auf dem dritten kniete sie mit konzentriertem Gesicht über einem Blumenbeet, in der Hand eine Gartenschaufel. Als Nächstes fand ich eine unbeschriebene Postkarte mit dem Bild des Eiffelturms, eine Murmel, ein Haargummi, ein uralt aussehendes U-Bahn-Ticket und (ein kleines bisschen gruselig) den

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