Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Komori, Guy Bastide, Daddy, Fremder, Ben Constable. (Ben Constable!) Mit offenem Mund starrte ich auf den Bildschirm. Der Fremde war der Mann vom 11. September, Jay der Neffe ihres Kindermädchens. Das Komori hieß. Daddy war vermutlich ihr Vater. Guy Bastide könnte jener Dr. Bastide sein, der in dem Notizbuch über Jay erwähnt wurde. Wer Tracy sein sollte, wusste ich nicht. Ben Constable war ich. Was hatte das zu bedeuten? Die anderen sind tot, dachte ich im Stillen. Ich kramte nach etwas zum Schreiben. Ich wollte nicht vergessen, was Tomomi Ishikawa einmal zu mir gesagt hatte.
»Verdammt, ich wünschte, du wärst tot, Ben Constable.« Sie weinte. Ihre Stimmung war komplett umgeschlagen. Wahrscheinlich hatte sich schon seit einer ganzen Weile etwas in ihr aufgestaut, aber davon hatte ich nichts bemerkt und so bekam ich erst die Explosion mit. »Was denkst du dir eigentlich dabei, in meinem Leben herumzuschnüffeln?«
Ich hatte überhaupt nicht geschnüffelt, wir hatten uns nur unterhalten und etwas getrunken. Sie hatte mir ein paar Sachen erzählt, ich weiß nicht mehr genau, worum es ging. Ich überlegte, ob ich sie in den Arm nehmen sollte, aber irgendwie war mir nicht danach. Ich habe kein Problem damit, jemanden zu trösten, wenn es ihm schlecht geht, aber ich lasse mich bestimmt nicht zum Sündenbock machen. »Ich verstehe überhaupt nicht, was du meinst«, sagte ich.
»Ich meine, dass ich dich am liebsten gar nicht kennen würde. Hass wäre noch zu gut für dich.«
»Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, was ich dir getan habe, und auch keine Lust, mit dir zusammen zu sein, wenn du so bist«, erwiderte ich.
»Dann geh doch. Verpiss dich einfach. Oder ich sorge dafür, dass du verschwindest. Wenn es sein muss, bringe ich dich um, verdammte Scheiße.«
Dazu fiel mir nichts mehr ein. Meine Beine kribbelten, als wollten sie mich daran erinnern, dass es Zeit war zu gehen.
Eine Sache, die ich an Tomomi Ishikawa immer gemocht hatte, war, dass sie nicht die Kontrolle verlor, wenn sie betrunken war. Sie wurde nicht anstrengend oder aggressiv oder verwandelte sich in ein heulendes Wrack. Darum konnte ich bis in alle Ewigkeit mit ihr plaudern und trinken. Hatte ich zumindest gedacht.
»Du kapierst überhaupt nichts, Ben Arschloch Constable. Du denkst, du weißt alles, aber du hast keine Ahnung.«
»Ich glaube, du solltest nach Hause gehen«, sagte ich zu ihr.
»Du hältst mich für ein Ungeheuer, oder?«
»Gerade halte ich dich hauptsächlich für jemanden, der betrunken ist und miese Laune hat, und darauf habe ich keine Lust.«
»Ich habe das Gesicht einer Wilden, ohne jede natürliche Färbung, und meine Lippen sind geschwollen und dunkel.«
»Hör auf. Ich bringe dich jetzt nach Hause.« Ich streckte die Hand aus, in einem letzten Versuch, sie nicht allein auf der Straße zurückzulassen, aber besonders viel Mitleid hatte ich eigentlich nicht mit ihr.
»Wenn du mich kennen würdest, würdest du mich für ein Ungeheuer halten.« Sie hakte sich bei mir ein und wischte ihre Tränen an meiner Schulter ab.
Ich seufzte. »Ich weiß ja nicht, was mit dir los ist, aber im Moment wirkst du wirklich wie ein ziemliches Ungeheuer.«
»Genau wie Bertha Antoinette Mason. Weißt du, wer das ist?«
»Nein.«
»Bertha Rochester? Jane Eyre? Charlotte Brontë?«
» Sturmhöhe ?«, fragte ich matt.
»Idiot«, stieß sie hervor und in mir kochte Ärger hoch.
»Mir sagt das alles nichts. Du kommst mir ständig mit irgendwelchen Autoren und Leute wie du denken immer, dass ich die kennen müsste, aber ich kenne sie nun mal nicht und sie interessieren mich auch nicht.«
»Das ist ja, als würde ich mich hier mit dem letzten Dorftrottel unterhalten.«
»Wie wär’s, wenn du mal ein bisschen netter zu mir bist?«, schnappte ich und sie starrte schweigend zu Boden.
»Ignorier mich einfach«, murmelte sie, doch ihre Stimme klang immer noch eher wie ein Grollen.
»Das ist gar nicht so leicht, wenn du mir ständig Beleidigungen um die Ohren haust.«
»Alles, was ich dir erzähle, sind Lügen«, informierte sie mich. »Nichts davon ist die Wahrheit. Ich rede hier von Geschichten. Kannst du mir folgen?«
»Kein bisschen.«
Wie aus heiterem Himmel verkündete sie: »Ich glaube, ich werde mir das Leben nehmen müssen.«
»Ja, das wollte ich auch schon vorschlagen«, entgegnete ich und meine Stimme klang zu verbittert für einen Witz, doch sie lachte trotzdem. Wie zum Teufel soll man denn auf so etwas
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