Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Mal nicht so viel Glück haben könnten.«
»Nein, natürlich. Danke.«
»Achten Sie also in Zukunft drauf.«
»Auf jeden Fall. Danke.«
»In Ordnung, also, handeln Sie sich keinen Ärger ein.«
»Nein, kein Problem.«
»Okay, dann noch einen schönen Tag.«
»Ja, danke. Ihnen auch.«
Es war nicht einfach, aber irgendwie gelang es mir schließlich doch noch, das letzte Wort zu haben. Warum musste ich eigentlich unbedingt das letzte Wort haben? Cat hätte mir einen missbilligenden Blick zugeworfen.
Als ich die 2nd Avenue erreichte, war es schon hell. Ich verließ die U-Bahn-Station und war in New York – und sofort ziemlich enttäuscht, dass es kein bisschen so aussah, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte einen Wald aus schwindelerregend hohen Gebäuden erwartet oder zumindest ein paar vereinzelte, wenn sie schon nicht alle schwindelerregend hoch sein konnten, oder einen Stadtteil mit Wolkenkratzern irgendwo in der Ferne. Doch die Gebäude ringsum waren nicht höher als die, die man auch in Paris fand. Dazu kam, dass in der Stadt, die niemals schläft, offenbar Nachtruhe herrschte. Hatte New York sich verändert oder war Frank Sinatra ein Lügner?
Ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich eigentlich lief, aber ich machte mir keine allzu großen Sorgen, denn ich wusste, dass die Straßen hier nummeriert waren und ein übersichtliches Gitternetz ergaben, das jeder Idiot verstand. Ich schätzte, dass ich mich eher irgendwo im Osten von Manhattan befand, und warf einen Blick auf die Straßennamen. Ich stand an der Kreuzung zwischen der East Houston Street (was, wie ich später herausfinden sollte, Hau-sten ausgesprochen wird, aus einem Grund, den mir niemand erklären konnte) und der Allen Street, wodurch sich all meine Hoffnungen, mich in New York allein anhand von Nummern zurechtzufinden, direkt zerschlugen. Doch da ich sowieso keine Ahnung hatte, wo ich hinmusste, war dieser Rückschlag nicht allzu groß.
Auf der anderen Seite der riesigen Kreuzung wurde die Allen Street zur 1st Avenue. Die Seitenstraßen hier waren, bei eins angefangen, tatsächlich durchnummeriert, und ich lief ein Stück, entschlossen, in das erste erschwingliche Hotel einzuchecken, an dem ich vorbeikam. Eine Stunde später war ich in der 42nd Street angelangt. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich beim Laufen mein Gehirn ausgeschaltet hatte – wie mechanisch hatte ich die Blocks gezählt und dabei ganz vergessen, nach Hotels Ausschau zu halten. Ich war so müde, dass ich anfing, mir selbst leidzutun. Rechts von mir sah ich Wasser, also wandte ich mich nach links und schon bald verwandelte sich New York in die hoch aufragende Metropole aus meiner Vorstellung.
Die Grand Central Station muss der schönste Bahnhof der Welt sein. Wie sollte je etwas diese orangefarbene Marmorpracht überbieten können? Ich wollte mich hinsetzen. Doch bei aller architektonischen Schönheit – Sitzgelegenheiten hatte der Bahnhof nicht zu bieten (zumindest nicht auf den ersten Blick). Nachdem ich etwa zehn Minuten durch die Halle geschlendert war, gelangte ich in den weitläufigen Imbissbereich im Untergeschoss, wo es große, bequeme Sessel gab. Ich setzte mich in einen davon und schloss die Augen.
Etwas später suchte ich mir ein Internetcafé und landete auf der Website eines Hotels im East Village, das nett und gerade noch bezahlbar wirkte. Ich rief dort an und reservierte ein Zimmer. Man teilte mir mit, ich könne um 14 Uhr einchecken. Dann loggte ich mich in meinen E-Mail-Account ein und schrieb eine Nachricht an Butterfly:
Bin am anderen Ende der Welt und so müde wie nie zuvor in meinem ganzen Leben. Keine Ahnung, was ich eigentlich hier soll. Wo soll ich hingehen, Tomomi Ishikawa? Ich weiß nicht mehr weiter.
Ich hatte noch fünf Stunden totzuschlagen und das Gefühl, verrückt zu werden, wenn ich mich nicht auf der Stelle in ein gemütliches Bett verkriechen konnte. Ich lief eine Weile nach Süden und dann nach Osten, um schon mal die ungefähre Richtung einzuschlagen, in der ich mein Hotel vermutete. Etwa hundertzwanzig Meilen später schlurfte ich durch eine hübsche Straße namens Avenue A, die ebenfalls nie auf meinem imaginären Stadtplan von Manhattan aufgetaucht war.
Irgendwann erreichte ich einen großen, baumbestandenen Platz und setzte mich auf eine Bank. Ich starrte ins Nichts, spürte den Morgen auf der Haut und wünschte, ich hätte mein Gepäck bei mir. Dann rutschte ich in eine etwas bequemere Position und bettete den
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