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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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Kopf auf meinen über die Rücklehne gelegten Arm, nur um mich nicht viel später ausgestreckt auf der Bank wiederzufinden. Während meine Knie in Richtung meiner Brust wanderten, wurde mein Arm zu einem Kopfkissen und die langsam wärmer werdende Luft zu einer Decke. Ich blickte zu den Bäumen und den Wolken auf, denen ich in Gedanken befahl, schneller weiterzuziehen, damit ich endlich ins Bett konnte. Es tat mir leid um die verschwendete Zeit, aber mein Körper war einfach am Ende.
    Nach ein oder zwei Stunden – wer wusste das schon? – stand ich auf, setzte mich an einen Tisch vor einer Bar und bestellte eine heiße Schokolade. Auf einem Schild an einer Ecke las ich Tompkins Square . Diesen Platz kannte ich. Butterfly hatte darüber geschrieben. Vielleicht war die Bank, von der ich erst kurz zuvor aufgestanden war, dieselbe, auf der sie am Abend des 11. Septembers 2001 gesessen und auf den Fremden gewartet hatte.
    Um zehn vor zwei stand ich an der Rezeption meines Hotels. Ein älterer Mann händigte mir einen Schlüssel aus und wies mir den Weg zu meinem Zimmer.
    »Normalerweise arbeite ich tagsüber gar nicht hier«, verriet er mir. »Ich mache immer die Nachtschicht.«
    Ich versuchte, interessiert zu wirken, aber ich hatte keine Energie zum Reden mehr übrig, was ihm wohl auch auffiel. Ich entschuldigte mich, erklärte ihm, dass ich unter furchtbarem Jetlag litt, und machte mich auf den Weg zu meinem Zimmer. Es war das womöglich schönste billige Hotelzimmer, das ich je bewohnt hatte, aber ich war zu müde, um mich darüber zu freuen. Ich ging kurz duschen und fiel ins Bett.

12

    A UF DEN S TUFEN DER N EW Y ORK P UBLIC L IBRARY
    Es war zu warm und ich wachte in einem fremden Zimmer auf. Meine innere Uhr konnte mir nicht sagen, wie spät es war, aber die Sonne brannte von draußen unerbittlich gegen die Vorhänge. Es mag unzählige Arten von Hotelzimmern geben, aber etwas haben sie alle gemeinsam – es ist schwer in Worte zu fassen, doch man weiß, dass man in einem Hotel übernachtet hat, sobald man morgens die Augen aufschlägt.
    Einen Moment lang konnte ich kaum zuordnen, was in meinen Traum gehörte und was in meinen Kopf.
    Ich wünschte, ich hätte eine Zahnbürste und Zahncreme, aber beides war mit meinem Gepäck verloren gegangen. Mit einem Stück Klopapier tat ich der Zahnpflege, so gut es ging, Genüge und verließ das Hotel.
    Ich setzte mich in ein Café und bestellte Frühstück, noch immer im Halbschlaf und wie benebelt. Was machte ich eigentlich hier (in New York)? Ich war ein paar Hinweisen gefolgt, aber war das allein Grund genug, in ein Flugzeug zu springen und auf einen anderen Kontinent zu jetten, oder verbiss ich mich da gerade wieder in etwas, von dem ich geglaubt hatte, es längst losgelassen zu haben?
    Ich zuckte mit den Schultern. Natürlich hätte ich einfach nach Paris zurückfliegen können, mit der Begründung, dass das Ganze hier eine ziemlich hirnlose Idee gewesen war, oder aber ich konnte eine neue Stadt erkunden, ein bisschen durch die Straßen streifen und mir einfach mal eine Pause gönnen.
    Ich schätzte, dass ich mich irgendwo am unteren Ende von Manhattan befand, und beschloss, dass der südlichste Punkt ein guter Ausgangspunkt für eine Entdeckungstour war. Also wanderte ich, mit der Morgensonne als Kompass, im Zickzack noch ein Stück nach Süden, bis die Gebäude so hoch wurden, dass die Spitzen ihrer Schatten nur noch an Kreuzungen auf die Straße fielen. Einem Schild zufolge ging es links zur Brooklyn Bridge, aber die würde bis zum nächsten Mal warten müssen. Ich lief die Wall Street hinunter und empfand sie als eng und wenig beeindruckend zwischen den Gebäuden, die sie säumten. Irgendwann erreichte ich den Battery Park am Wasser. Ich sah zur Freiheitsstatue hinüber. Sie war ziemlich weit weg und für meine müden Augen nicht viel mehr als ein verschwommener Punkt. Ich kehrte ihr den Rücken, sodass Manhattan vor mir lag. Immer am Ufer entlang, bewegte ich mich Richtung Westen, in einem weiten Bogen um die Wolkenkratzer herum, bevor ich mich nach einer Weile wieder stadteinwärts wandte und Ground Zero erreichte; umgrenzt von einem Zaun, der den Rest der Welt aussperrte, inmitten riesenhafter Nachbarn, die dunkel und glänzend emporragten. Östlich davon sah ich einen U-Bahn-Zugang und eine Art Besucherzentrum mit Bildern vom 11. September. Hinter dem Zaun lag eine gigantische Baugrube. Hier am südlichen Ende befand sich ein Tor für Lkws, die matschige Spuren

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