Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Meinung war, ließ sich zumindest niemand etwas anmerken und man versorgte mich bereitwillig mit Schreibutensilien. Was ich schließlich notierte, war gar nicht so weit vom Original entfernt und die ersten beiden Zeilen hatte ich sogar wortwörtlich getroffen.
Aber dies waren mit Sicherheit nicht Butterflys eigene Worte. Sie musste den Vers irgendwo herhaben. Als ich nach Hause kam, gab ich die erste Zeile bei Google ein und landete tatsächlich einen Treffer. Es war ein Auszug aus einem Gedicht des amerikanischen Dichters und Philanthropen William Bryant, der zudem in den Sockel seiner Statue im New Yorker Bryant Park geprägt war. In den USA.
Na, das ist doch mal ein Hinweis, dachte ich.
TEIL 2
20. BIS 28. A UGUST 2007
11
A NKUNFT IN N EW Y ORK
Die drei Stunden Wartezeit in der Schlange zur Passkontrolle am JFK-Flughafen waren langweilig und zugleich ziemlich unterhaltsam. Ich steckte einen Visumsantrag des Departments of Homeland Security (mitsamt den genialen Fragen darauf) in die Tasche – als Erinnerung oder für den Fall, dass ich mal ein witziges Geschenk für jemanden brauchte, denn wie es aussah, lagen die dort zum Mitnehmen aus.
Alles in Amerika wirkte wie im Fernsehen. Die meisten Menschen wurden von Schauspielern gespielt, die mir vage bekannt vorkamen, und der Typ, der die Durchsagen über das Lautsprechersystem machte, musste ein mehrfach mit Platin ausgezeichneter Rapper sein.
»Would passengers SMITH and JOHNson on flight BA three eigh-dee from London HeathROW please go to the Briddish Airways DESK for INFORMATION abou cho LUGGage.«
Bedauerlicherweise nannte er meinen Namen nicht, denn es gab keine Informationen zu meinem Gepäck, das offenbar eigene Vorstellungen hinsichtlich seines Reiseziels entwickelt hatte, ohne eine Kontaktadresse oder den kleinsten Hinweis auf seinen Verbleib zu hinterlassen.
Zuzüglich zu den zwei Stunden Verspätung, mit denen mein Flieger gelandet war, war ich jetzt gute fünf Stunden später dran, als ich geplant hatte. Langsam wurde ich ein bisschen nervös bei dem Gedanken daran, dass ich mitten in der Nacht in Manhattan eintreffen würde, ohne eine Ahnung, wo ich eigentlich hinsollte. Ich überlegte, ob ich im Internet nach einem Hotel suchen sollte, doch allein der Flughafen mit all seinen geschlossenen Läden verbreitete eine so spätnächtliche Stimmung, dass ich mich lieber an die mäßig hilfsbereiten Leute am Informationsschalter wandte.
»Wo genau wollen Sie denn hin?«
»Manhattan.«
»Okay, aber wo denn in Manhattan?«
»Hm, keine Ahnung.«
Ich war noch nie in New York gewesen; zwar hatte ich eine gewisse Vorstellung davon, was mir gefallen würde und was nicht, aber im Grunde war ich mir noch nicht mal sicher, ob es diese Orte wirklich gab (zum Beispiel hätte ich gern mal in der Sesamstraße vorbeigeschaut). Irgendjemand hatte mal die Vermutung geäußert, dass ich das East Village mögen würde, aber das hieß natürlich noch lange nicht, dass ich da gerne um drei Uhr nachts aufkreuzen wollte. Und den Infostand-Leuten gegenüber wollte ich das lieber auch nicht erwähnen, für den Fall, dass ich mich verhört hatte und das East Village in Wirklichkeit eine postapokalyptische, von Zombie-Kannibalen bewohnte Brachfläche war und sie mich für den letzten Trottel halten und auslachen würden.
»Na ja, Manhattan ist ziemlich groß, und wie Sie da hinkommen, hängt davon ab, wo genau Sie hinwollen.«
»Wie komme ich denn zum East Village?«
»Okay, da fahren Sie erst mal mit dem AirTrain bis Howard Beach, dann nehmen Sie die Linie A zur Jay Street und anschließend die F bis, tja, zur 2nd Avenue zum Beispiel? Wohin wollen Sie denn im East Village?«
»Ich weiß nicht. Haben Sie vielleicht einen Plan?«
»Ich hätte einen Busplan von Brooklyn.«
»Ist da auch die U-Bahn mit drauf?«
»Glaub ich nicht.«
»Ist Manhattan drauf?«
»Eher nicht.«
»Okay. Danke.«
Ich nahm den AirTrain und starrte auf ein Schild, das mich über eine Reihe von Dingen informierte, die auf dem Gelände des JFK-Flughafens nicht gestattet waren – zum Beispiel einschlafen. Als ich aufwachte, fuhr die Bahn rückwärts. Wir hatten Howard Beach erreicht und waren auf dem Weg in die entgegengesetzte Richtung. Ich beschloss, meinen Augen noch ein bisschen Ruhe zu gönnen, nahm mir aber fest vor, sie hin und wieder aufzumachen, um die Haltestellen im Blick zu behalten.
Als ich das nächste Mal aufwachte, sah ich als Erstes ein Schild, auf dem Howard Beach stand.
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