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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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von einer ausländischen Nummer aus anruft.«
    Ich lachte. Sie lachte.
    »Soll ich dich lieber allein Kaffee trinken lassen und ein andermal anrufen?«
    »Nein, jetzt hast du mich sowieso komplett aus meiner Arbeit rausgebracht. Ich brauche eine Pause.«
    Wir gingen die 42nd Street entlang und stiegen am Grand Central in die U-Bahn. Dann nahmen wir die 6 bis zum Astor Place. Dort stiegen wir aus und ich trat hinter Beatrice auf die Straße.
    »Was machst du eigentlich beruflich?«, wollte sie wissen. Sie schien sich mit ihrer Situation abgefunden zu haben und mit einem Mal lief alles viel lockerer.
    »Ich arbeite für eine Bank.«
    »Oh, ein englischer Bankier? Wie vornehm.«
    »Nein. Ich organisiere Sprachkurse für Bankangestellte. Aber das ist nur ein Job. Damit ich meine Miete zahlen kann, während ich mich im Schriftstellersein übe.«
    »Du bist Schriftsteller?«
    »Ich übe noch.«
    »Und was schreibst du?«
    »Geschichten.«
    »Was denn für welche?«
    »Alles Mögliche. Kurzgeschichten, lange Geschichten. Über Sachen, die mir so einfallen, oder ich lasse mich von Dingen inspirieren, die passieren oder die Leute gesagt haben.«
    »Ist schon mal irgendwas von dir veröffentlicht worden?«
    »Nur ein paar Kurzgeschichten.«
    »Brauchen viele Bankangestellte Sprachkurse?«
    »Ich lebe in Frankreich und die Unternehmen da setzen ihre Leute ziemlich unter Druck damit, dass sie genauso gut auf Englisch verhandeln können müssen wie auf Französisch.«
    »Ja«, sagte sie, als wüsste sie genau, wovon ich spreche. »In dieser Straße gibt es keine Nummer 44½.«
    »Wie bitte?« Zu meiner Überraschung schien sie meine Enthüllung, dass ich in Frankreich lebte, kein bisschen zu interessieren.
    »Das hier ist die East 6th Street.«
    »Ich dachte, wir gehen Kaffee trinken.«
    »Ach so, ich dachte, das wäre nur ein Vorwand gewesen, damit ich mitkomme.«
    »Na ja, war es auch, aber ich wollte dich eigentlich erst beim Kaffee dazu überreden mitzukommen.«
    »Tja, dann sollten wir wohl einfach Kaffee trinken gehen, hier gibt es nämlich keine Nummer 44½. Siehst du? Da sind 42, 44 und 46. Und da drüben 43 und 45. Keine 44½.«
    »Sieht aus, als hättest du recht«, stimmte ich ihr zu. »Was soll 44½ überhaupt für eine Hausnummer sein?«
    »So was machen manche Leute hier.«
    »Echt?«
    »Jepp. Vielleicht sollten wir aber noch kurz in der 8th Street nachsehen, wenn wir schon mal in der Gegend sind.«
    »Gern, da wir nun schon mal hier sind.«
    »Tally-ho!«, rief sie.
    Überrascht blickte ich sie an. »Hast du gerade Tally-ho gesagt?«
    »Klar, du bist doch Brite.«
    »Ich weiß. Aber kein Brite sagt Tally-ho.«
    »Wer denn dann?«
    »Keiner.«
    »Stimmt doch gar nicht. Das ist absolut englisch. Dein Volk hat Tally-ho erfunden!«
    »Vielleicht haben die Leute das in den Zwanzigerjahren gesagt, aber wahrscheinlich war es schon nach dem Krieg total veraltet.«
    »Hör sofort auf, du zerstörst noch mein ganzes Bild von deinem Land.«
    Die East 8th Street hieß auch St. Mark’s Place und Beatrice stöhnte: »Ach ja, natürlich«, als wäre es ein Skandal, dass sie nicht gleich darauf gekommen war. Es gab dort tatsächlich ein Haus mit der Nummer 44½. Es hatte eine rote Tür mit vier Klingelknöpfen an der Wand daneben.
    »Was meinst du, welcher ist es?«
    »Der oberste«, erwiderte Beatrice, als sei das offensichtlich.
    »Woher willst du das wissen?«
    »In dem Brief stand doch, dass es die Wohnung im obersten Stockwerk ist.«
    »Aber was ist, wenn die Klingeln umgekehrt angebracht sind und zum obersten Stockwerk die unterste Klingel gehört?«
    »Hast du irgendwie ein paar Gehirnwindungen zu viel abbekommen?«
    »Kann sein«, sagte ich.
    »Es ist die oberste. Glaub mir.«
    Ich wartete ab und starrte auf den Knopf. Als mir nun tatsächlich nichts anderes übrig blieb, als zu klingeln, wollte ich mit einem Mal nicht mehr. Ich überlegte, ob ich auf Cat warten sollte, verwarf die Idee aber gleich wieder. Dann fiel mir etwas viel Wichtigeres ein, das mich vor dem Klingeln bewahren würde.
    »Französischer Wein. Ich sollte doch eine Flasche Wein mitbringen«, platzte ich heraus.
    »Und, hast du welchen dabei?«
    Ich klopfte meine Tasche ab, als könnte sich darin wirklich eine Flasche befinden, die ich bloß vergessen hatte. »Nein.«
    »Dann brauchen wir wohl einen Laden.«
    »Einen Weinladen«, fügte ich hinzu.
    »Hier lang.«
    Zehn Minuten später standen wir wieder vor der Tür von St. Mark’s Place 44½ und

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