Sinn. Tomomi Ishikawa war nicht nur tot, nein, sie hatte auch noch ihr eigenes Andenken beschmutzt, sodass ich sie nicht einmal anständig vermissen konnte.
Ich überlegte, ob ich Beatrice anrufen sollte, aber sie hatte mich gebeten, es nicht zu tun, also schrieb ich ihr stattdessen eine SMS, die ich aber sofort wieder löschte. Dann sah ich Cat über die Feuerleiter balancieren, bevor er mit umsichtiger Präzision durch das offene Fenster ins Hotelzimmer sprang. Sorgsam suchte er sich einen Platz auf dem Bett und ließ sich dort nieder.
»Hier herrscht gerade ein ziemliches Chaos«, erklärte ich ihm und schlief kurz darauf wieder ein, tief und völlig überflüssigerweise. Als ich das nächste Mal aufwachte, war er fort.
Es war vier Uhr nachmittags. Ich ging duschen, rasierte mich und zog mir frische Sachen an, was ein ziemlich gutes Gefühl war. Die ganze Zeit über musste ich jedoch den Gedanken an Butterfly und ihre Toten verdrängen. Ich verließ das Hotel und aß in einer Pizzeria, bevor ich mir eine Bar suchte und mich an einen der Tische im Außenbereich setzte, wo ich in mein Notizbuch schrieb und ein Bier nach dem anderen trank. Irgendwann wiesen mich meine Beine darauf hin, dass ich aufstehen und mich bewegen sollte. Also wanderte ich durch die Straßen, bis ich in der Avenue A auf ein japanisches Restaurant stieß. Ich aß Sushi nach Herzenslust und trank eine kleine Karaffe Sake. Auf dem Weg zurück zum Hotel kehrte ich noch kurz in einer kleinen Kellerbar ein, schrieb ein bisschen mehr in mein Notizbuch und trank zwei weitere Gläser Bier. Das war mein Tag.
Am nächsten Morgen wachte ich mit einem ziemlich dicken Schädel auf und trank so viel Wasser, wie mein Magen nur fassen konnte. Kaum war ich wieder eingeschlafen, erhielt ich eine SMS von Beatrice. Bist du schon auf? , schrieb sie.
Ich fragte mich, ob sie sich in der Nummer geirrt hatte, und überlegte kurz, die Nachricht zu ignorieren, dann aber antwortete ich doch: Mehr o weniger. Wie geht’s?
Schon besser. U dir?
Bisschen durch.
Durch? Heute Nachmi treffen? Kann zum Hotel kommen. Vllt Kaffee in deinem Frühstücksladen?
Durch wie kaputt/fertig/erschöpft. Frühstücksladen klingt gut. Wann?
Aha … 2 Uhr.
OK. Bis später.
Dann schlief ich wieder ein.
Auf dem Weg zu meinem Treffen mit Beatrice ging ich noch schnell meine E-Mails checken. Streetny wurde langsam nachlässig und hielt sich nicht mal mehr mit einer Einleitung auf.
An: Ben Constable
Von:
[email protected] Betreff: Von Tomomi Ishikawa
Gesendet: 23. 08. 2007 12 : 49 (GMT-6)
Ben Constable,
du musst langsam ein schreckliches Bild von mir haben. Manchmal frage ich mich, ob es fair von mir ist, dich mit all den düsteren Geheimnissen aus meiner Vergangenheit zu belasten. Ich weiß wirklich nicht, womit du das verdient hast. Ich bin kurz davor, einfach aufzugeben und dich in Frieden zu lassen, aber dann würde so vieles unvollendet bleiben. Ich habe das Gefühl, nun muss ich es auch zu Ende bringen und dir alles erzählen. Aber nicht heute.
Der heutige Schatz soll dich in den Genuss der einfachen Freuden New Yorks bringen. Ich wollte ihn eigentlich an einem meiner liebsten grünen Orte vergraben, aber dann kam mir der Gedanke, du könntest möglicherweise eine Pause vertragen, darum gibt es heute mal keine Hinweise und du brauchst auch kein Grabwerkzeug. In New York gibt es Hunderte winziger Gärten, die die Bürger auf ungenutzten Flächen geschaffen haben, vielleicht sogar noch mehr als in Paris. Einer dieser Orte, die eine bedeutende Rolle in meiner Vergangenheit gespielt haben – Orte, an denen ich hin und wieder mal Unkraut gejätet oder ein Buch gelesen habe –, ist der Gemeinschaftsgarten an der Ecke 6th Street und Avenue B. Ich selbst war dort nie Mitglied, weil ich dafür in der falschen Gegend gewohnt habe, hatte aber das Glück, mit einer netten alten Dame namens Iris befreundet zu sein, die die Vorsitzende der East Village Gardening Association ist und mich des Öfteren mit der Pflege ihres Beets betraute, wenn sie einmal nicht in der Stadt war oder auch einfach so. Neben dem üppigen Baum- und Pflanzenbestand dieses Gartens ist außerdem noch ein Kunstwerk in Form eines etwa achtzehn Meter hohen Holzturms erwähnenswert, der mit verlorenem Spielzeug geschmückt ist. Wenn du dort an einem Nachmittag vorbeischaust, wirst du mit größter Wahrscheinlichkeit Iris begegnen, denn dann ist sie meistens da. Du solltest vielleicht wissen, dass sie