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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Constable
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weiter.
    Ich zog eine lange Haarnadel aus meiner Hochsteckfrisur und setzte sie knapp vier Zentimeter hinter seinem Ohr an, genau an der Stelle, wo die Nackenwirbelsäule in den Schädelknochen übergeht. Das Ende der Nadel hatte ich vor unserem Treffen sorgfältig angespitzt. Alles, was sein Leben nun noch von seinem Ende trennte, waren ein bisschen weiches Gewebe und meine Nerven. Ich küsste ihn auf den Hals und er schluchzte.
    All jenen, die noch nie einen Menschen getötet haben, muss die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens wie ein unüberwindbares Bollwerk erscheinen. Es liegt etwas Primitives darin, den Willen zu einem Mord aufzubringen. Die Entscheidung, die reine Fantasie des Tötens in die Tat umzusetzen, ist grausam und entmenschlichend, sie folgt der Logik eines unterentwickelten Verstands. Ich hielt die Luft an und sprang.
    Mit einer kleinen, ruckartigen Bewegung senkte sich die Haarnadel in seinen Hals und sein Körper schien sich in eine schwere Flüssigkeit zu verwandeln, die durch meine Arme zu Boden rann. Vor Panik schrie ich auf. Er starrte mich an, versteinert, wie in einem Traum, in dem man nur zusehen, nicht aber handeln kann. Ein Gefühl von Ruhe und Akzeptanz erfüllte ihn. Es lag etwas Einfaches, beinahe Reines, in dem Wohlwollen und der Wärme, die er für die junge Frau empfand, die dort in Strumpfhosen vor ihm stand, ihr Rock neben ihr auf dem Boden. Er wünschte ihr alles nur erdenklich Gute auf dieser Welt. Endlich konnte er sich entspannen, seinen Kopf frei bekommen, und mit einem Mal saß er in einem großen, schwach erleuchteten Saal mit Holzfußboden und hellen Gemälden an der Wand und durch die Stille drangen Worte an sein Ohr – ein Lied oder ein Gedicht. Sie waren so schön. Ein Jammer, dass er sie nicht aufschreiben konnte.
    Ich bekam keine Luft. Würgend unterdrückte ich einen Schrei aus voller Kehle. Ich sagte seinen Namen, aber er regte sich nicht, vielleicht spielte er mir ja nur etwas vor, um mir Angst einzujagen. Ich schüttelte ihn, doch er reagierte nicht. Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Kopf wich und mich eine Woge von Übelkeit erfasste. Ich rannte ins Badezimmer und übergab mich.
    Als ich zurückkam, lag er noch genauso da. Eine Minute zuvor hatte er noch vor mir gestanden und geweint. Eine Minute zuvor war er noch am Leben gewesen. Ich hatte kaum die Hand rühren müssen. So wenig trennte jenen Moment von diesem. Und nun würde er nie wieder aufstehen, nie wieder sprechen. Nie wieder Fahrrad fahren.
    Ich konnte meine Tränen nicht länger zurückhalten. Noch nie zuvor hatte ich so heftig geweint. Es klang künstlich, doch es war niemand da, der meine Vorstellung gewürdigt hätte. Und noch während ich weinte, ordnete ich meine Gedanken. Als ich nach meiner Haarnadel griff, quoll sein dunkles Blut aus der Wunde, rann auf den Boden und breitete sich dort aus wie eine langsam erblühende Blume, üppig und rot. Von Weinkrämpfen geschüttelt, schrubbte ich die Toilette, um alle Spuren meines Erbrochenen zu beseitigen, und wischte anschließend über jede Oberfläche, die ich erreichen konnte. Mehr konnte ich nicht tun. Dann verließ ich die Wohnung und zog die Tür hinter mir zu. Ich ging nach Hause, legte mich ins Bett und weinte in meinen Träumen. Als ich wieder erwachte, war ich erwachsen. Ich trug eine größere Bürde als zuvor, aber ich war stärker; ich hatte dazugelernt. Wenn du ein Leben ausgelöscht hast, zerbrichst du entweder an dem Schmerz, sobald dir die Schwere deiner Tat bewusst wird, oder du schlägst eine neue Seite auf und machst einfach weiter. Doch niemals wirst du der neuen Gewissheit entfliehen, dass weder Gott noch die allzu leicht veränderlichen Gesetze der Menschen ein Leben beschützen können; unser Dasein, so fragil, wird durch nichts geschützt als durch unser Vertrauen in das Gute – eine Lage so dünn wie Zellstoff. Der Tod lauert in jedem von uns.
    Ich schickte das Manuskript mit einer Standardabsage zurück an Tracys Adresse.

18

    J OGHURT UND DIE E AST V ILLAGE G ARDENING A SSOCIATION
    Am nächsten Tag wurde mein Gepäck geliefert, aber das war nur ein schwacher Trost. Als ich aufwachte, war ich gereizt und starrte eine Weile bloß an die Decke, dann schaltete ich den Fernseher ein, bis ich mich aus Langeweile doch wieder der Zimmerdecke zuwandte.
    Ich vermisste Butterfly, aber das war nur eine Fehlinterpretation, so wie wenn man annimmt, man wäre müde, obwohl man in Wirklichkeit Durst hat. Nichts ergab mehr einen

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