Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Seite des Gebäudes waren weiß und sprangen an manchen Stellen ein Stück vor, sodass sich vor der Sonne geschützte Nischen bildeten; eine Rampe führte aufs Dach hinauf.
Daddy trat aus dem Schatten einer Tür. Er sah älter aus, als ich ihn in Erinnerung hatte – die Haut in seinem Gesicht war grau und schlaff. Seine Haare, auch grau, schienen seit Monaten nicht geschnitten worden zu sein, dafür war er frisch rasiert und hatte sich sichtlich um ein halbwegs ordentliches Erscheinungsbild bemüht. Er breitete die Arme aus und schenkte mir ein klägliches Lächeln. Ich machte ein Kussgeräusch an seiner Wange und blieb stocksteif stehen, als er mich umarmte.
Das Haus bestand aus einem einzigen großen Raum, in dem es unerwartet kühl war, und die komplett verglaste Front bot einen meilenweiten Blick über Felsen und Wüste. Die Einrichtung bestand aus Sechzigerjahre-Designerstücken. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie jemand anderes ausgesucht hatte. Daddy wäre nie auf die Idee gekommen, sich irgendeinen Geschmack anzueignen, ob nun gut oder schlecht.
»Nettes Haus«, sagte ich.
»Danke. Es hat vorher einem Architekten gehört. Den Namen habe ich vergessen.«
»Warum lebst du hier?«, fragte ich.
»Hier fühle ich mich sicher.«
»Sicher wovor?«
»Vor allem.«
Die erste Stunde verlief ziemlich verkrampft. Er fragte mich, wie es meiner Mutter ginge, und erkundigte sich nach meiner Arbeit. Ich versuchte, so viel zu erzählen, wie ich konnte – nicht nur, um die Stille zu füllen, sondern auch in der Hoffnung, dass wir irgendwann auf ein Thema von beiderseitigem Interesse stoßen würden und mein Besuch vielleicht doch noch einigermaßen erträglich verlief. Doch mein Vater verfolgte ganz eigene Ziele.
»Es freut mich, dass du dein Studium so erfolgreich abgeschlossen hast.«
»Das ist schon Jahre her, Daddy«, erwiderte ich.
»Ich weiß, aber ich hatte einfach nie die Gelegenheit, dir zu sagen, wie stolz ich auf dich bin.«
»Danke.«
»Ich habe mir nie Gedanken über deine Zukunft gemacht, Butterfly, oder darüber, ob du glücklich bist. Ich habe immer versucht, mein Leben von deinem getrennt zu halten. Aber jetzt, da ich älter werde, sehe ich ein, wie sehr ich mich in manchen Dingen getäuscht habe. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich wollte eine Chance, dir das alles zu erklären.«
»Schon okay. Am Ende ist ja doch noch was aus mir geworden.«
»Tja, wir lernen, in allen möglichen Situationen zu überleben, und du hast dich wunderbar entwickelt, trotz allem, was dir angetan wurde. Das ist schön. Aber so falsch Eltern sich auch manchmal verhalten, es geschieht nie aus böser Absicht. Das weißt du doch, oder? Ich wollte dir nie bewusst schaden.«
Ich war für diesen Besuch dreitausend Meilen weit gereist. Es war offensichtlich, dass er sich einiges von der Seele reden musste, aber das hieß noch lange nicht, dass ich es auch hören wollte. Vielleicht hatte er ja zu Gott gefunden oder so etwas. Das interessierte mich zwar nicht, aber ich ließ ihn trotzdem reden. Vielleicht erfuhr ich ja noch irgendetwas Interessantes, und wenn es zu anstrengend wurde, konnte ich ihm immer noch sagen, er solle den Mund halten. Oder ich konnte einfach gehen und so sauer auf ihn sein, wie es mir passte.
»Ich bin sicher, du hast dein Bestes getan«, sagte ich zu ihm, doch noch während ich die Worte aussprach, wurde mir klar, dass ich sie selbst nicht glaubte.
»Das ist wahr, ich habe versucht, mein Bestes zu tun. Aber es war immer nur das Beste für Keiko. Und ich fürchte, damit auch auf irgendeine Art das Beste für mich selbst. Auf deine Gefühle habe ich nie Rücksicht genommen.«
»Bitte rede nicht über Komori.«
»Aber sie ist Teil meiner Erklärung.«
»Du hast sie einfach fallen lassen, so als hätte sie dir nie etwas bedeutet.«
»Das stimmt nicht, Butterfly«, widersprach er. »Ich habe sie geliebt.«
»Ach so, deswegen hast du sie also sitzen lassen. Weil du sie so furchtbar geliebt hast.«
»Nein, du verstehst das nicht. Ich habe sie wirklich geliebt und sie mich. Wir haben einander immer geliebt, schon seit wir Kinder waren. Wir waren ein Paar. Die Welt außerhalb dieser Liebe existierte für uns nicht.«
»Moment mal. Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn. Du und Komori, ihr wart …«
»Ja.«
»Das verstehe ich nicht. Ihr seid gemeinsam aufgewachsen. Eure Familien waren gut befreundet. Ihr habt alles miteinander gemacht. Wenn ihr auch noch ineinander verliebt wart,
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