Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
kann nicht. Ich muss nach Hause.«
»Du hast ja nie besonders lange Zeit.«
»Das ist so eine New Yorker Angewohnheit. Keine Verabredung dauert hier länger als zwei Stunden. Und du hattest schon ziemliches Glück, unsere Treffen haben manchmal mehr als vier gedauert, weil ich einfach die Zeit vergessen habe.«
»Die Leute hier teilen ihre Zeit in Zweistundenblöcke ein?«
»Na ja, nicht offiziell, aber manchmal kommt es mir so vor. Ich würde gern noch ein bisschen bleiben, aber ich kann nicht.«
»Wieso nicht?«
»Weil ich andere Prioritäten habe.«
»Okay«, sagte ich.
Als wir das Restaurant verließen, küsste Beatrice mich auf die Wangen. »Lass uns morgen telefonieren, dann kannst du mir erzählen, wie es gelaufen ist«, schlug sie vor.
»In Ordnung. In welche Richtung musst du?«
»Da lang.« Sie deutete nach Nordosten, zu den Gebäuden auf der anderen Straßenseite. »Ich nehme die Linie J. Die Charles Street liegt dort runter.« Sie zeigte nach Westen.
Ich fragte mich, ob es sie eigentlich Selbstbeherrschung kostete, sich nie noch mal zu mir umzudrehen, oder ob das einfach ganz normal für sie war.
Als ich die Lobby von Charles Street Nummer 15 betrat, sah der Pförtner zu mir auf.
»Tag, wie geht’s?«
»Hi. Vielleicht können Sie mir helfen. Ich suche nach Informationen über jemanden, der früher einmal in diesem Gebäude gewohnt hat. Arbeiten Sie schon lange hier?«
»Wie lautet denn der Name?«, entgegnete er, ohne meine Frage zu beantworten.
»Sasaki.«
»Oh ja, Miss Sasaki.« Sein Tonfall wurde gleich sanfter und er richtete sich in seinem Stuhl auf. »Sie ist vor ein paar Jahren gestorben.«
»Ja, ich weiß.« Ich wollte mich nicht zu weit ins Reich der Unwahrheiten wagen, gab mir aber dennoch Mühe, den Eindruck zu erwecken, als würde mir dieser Umstand persönlichen Kummer bereiten, in der Hoffnung, dass ihn das etwas hilfsbereiter stimmte. »Können Sie mir sagen, wer zurzeit in ihrem Apartment wohnt?«
»Tut mir leid, diese Information darf ich Ihnen ohne Erlaubnis nicht geben, Sir.«
»Ja, verstehe. Sagen Sie, kannten Sie das Mädchen, das früher bei Miss Sasaki gewohnt hat? Tomomi Ishikawa?«
»Oh ja, ich kenne Butterfly. Ist das die Person, nach der Sie suchen?«
»Ja, sie ist eine Freundin von mir. Aber wir haben uns vor einiger Zeit aus den Augen verloren.«
»Vielleicht war ja genau das ihre Absicht, darum weiß ich nicht, ob ich Ihnen damit weiterhelfen kann.«
»Oh ja, das war definitiv ihre Absicht. Aber sie meldet sich trotzdem hin und wieder noch bei mir. Sie schickt mir Sachen.«
»Sachen?«
»Na ja – Briefe, E-Mails, alles Mögliche.«
»Vielleicht sollten Sie sie dann einfach fragen, wo sie ist.«
»Ich habe nur diese Adresse. Ich weiß nicht, wie ich sie sonst erreichen soll.«
»Na ja, wenn sie Ihnen E-Mails schreibt, dann brauchen Sie doch nur auf Antworten zu klicken.«
»So einfach ist das leider nicht. Sie ist tot.«
»Tot?«
»Seit ein paar Monaten.«
»Ach, das ist ja schrecklich.«
»Ja, finde ich auch. Wir waren gut befreundet. Sie hat mir ein paar Sachen hinterlassen, Briefe und Texte, die sie vor ihrem Tod geschrieben hat, und irgendjemand schickt sie mir. Ich habe den Verdacht, dass das Ganze irgendetwas mit der Person zu tun haben könnte, die hier wohnt.«
»Tut mir leid, Sir, aber dazu kann ich nichts sagen.«
»Schon gut, ich glaube, das haben Sie schon. Nur noch eins.«
»Ja?«
»Miss Sasaki hatte doch ziemlich viele Pflanzen. Wissen Sie, was mit denen passiert ist?«
Der Pförtner lächelte. »Butterfly hat die meisten davon an Leute in der Nachbarschaft verschenkt. Jedes Mal, wenn sie runterkam, hatte sie ein paar Topfpflanzen dabei, die sie loswerden wollte. Ich habe eine für meine Mutter mitgenommen; sie lebt jetzt im Altersheim.«
»Es war so ein kleines Bäumchen darunter – wissen Sie, was mit dem passiert ist?«
»Ich habe eine Ahnung, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Hier rechts um die Ecke ist eine Reinigung, der Inhaber heißt Chan. Der kennt hier in der Gegend jeden. Auch Miss Butterfly hat er gekannt. Wenn Ihnen irgendjemand sagen kann, was mit den Pflanzen passiert ist, dann er. Er hat ihr einen kleinen Handkarren geliehen, um die letzten aus der Wohnung zu schaffen. Gehen Sie und fragen Sie Chan.« Der Pförtner warf einen Blick auf seine Uhr. »Er müsste noch da sein.«
In der Reinigung begrüßte mich ein kleiner Asiate mit einem breiten Lächeln.
»Hallo, ich bin auf der Suche nach einem Mann
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