Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Tochter wie dich zu haben. Ich bin so glücklich, dass ich dich nach all dieser Zeit wiedergefunden habe.«
»Aber warum? Wie konntest du ein Kind haben und ihm und seiner Ziehmutter nicht ein besseres Leben ermöglichen?«
»Keiko brauchte jemanden. Aber niemand, der nicht auf eine ganz bestimmte Art geformt worden war, hätte es ertragen, sie sterben zu sehen. Du wurdest dazu erzogen, etwas zu tun, das ich nicht fertigbrachte. Du wurdest dazu erzogen, einen Verlust zu verkraften, den kein anderer von uns hätte bewältigen können. Du musstest härter, stärker werden als wir anderen. Du musstest weiterleben können, wenn wir es nicht vermochten.«
»Und wie kommst du darauf, dass ich es kann? Wie kommst du darauf, dass der Verlust mir nicht wehgetan hat, oder die Tatsache, dass du das alles so geplant hast? Dass ich bei meiner Geburt weggegeben wurde, damit ich die Drecksarbeit erledige, mit der du nicht fertigwurdest? Und was ist mit meiner Mutter? Wie fand sie es denn, als Brutmaschine für dein kleines Henkersmädchen herzuhalten?«
»Sie war jung. Es war nicht leicht für sie, aber sie hat es verstanden.«
»Wie konntest du überhaupt Kinder mit anderen Frauen haben, wenn du doch verdammt noch mal so verliebt in Komori warst?«
»Das habe ich dir doch gerade erklärt. Ich habe dich in die Welt gesetzt, damit Komori ein Kind haben konnte. Ich weiß, dass das alles schwer für dich ist, Butterfly. Aber ich wollte, dass du verstehst, wie es dazu gekommen ist.«
»Na, vielen Dank. Dann bin ich ja jetzt total beruhigt. Hast du vielleicht etwas zu trinken da?« Ich stand auf und ging Richtung Küche.
»Ja. In dem Schrank links sind ein paar Flaschen. Warte, lass mich …« Er machte Anstalten aufzustehen, doch ich winkte unwirsch ab.
»Bleib sitzen. Ich kann mir selbst einen Drink mixen.« Ich atmete ein paarmal tief durch, um mich zu beruhigen und meine Wut zu bändigen. »Willst du auch was?«
»Nein danke. Das ist noch ein bisschen früh für mich.«
»Tja, danach fahre ich aber weg und komme nie wieder. Du wirst mich nie mehr zu Gesicht bekommen. Wenn du also ein einziges Mal deiner ach so geliebten Tochter zuprosten willst, dann wäre jetzt der passende Moment. Ich mache mir einen Gin mit Soda. Bist du sicher, dass du nichts willst?«
»Na gut, dann nehme ich auch einen.«
Ich drehte mich zu ihm um. Sein Gesicht war tränenüberströmt.
Ich nahm meine Tasche und holte, während ich unsere Drinks mischte, drei Päckchen Tabletten heraus, die man rezeptfrei in jeder Apotheke bekommt. Ich hatte sie vorsichtshalber mitgebracht. Die Idee war mir schon die ganze Zeit durch den Kopf gespukt. Ich hatte vielleicht nicht unbedingt geplant, ihn zu töten, aber Vorbereitungen getroffen für den Fall, dass es nötig sein sollte. Ich drückte je eine Kapsel aus den Packungen in seinen Gin und achtete darauf, dass sie sich vollständig auflösten. Ich handelte mit der Kaltblütigkeit (oder Selbstzufriedenheit) eines Menschen, der auf diesem Gebiet erfahren war. Er hätte sich nur zu mir umdrehen müssen, dann hätte er alles gesehen. Doch er saß ganz still da.
»Hier.« Ich reichte ihm sein Glas und setzte mich dann mit meinem eigenen hin.
»Danke«, sagte er.
»Prost.« Ich hob mein Glas.
»Wohl bekomms.« Er trank einen Schluck. »Der ist aber bitter.«
»Ja«, stimmte ich ihm zu. »Dein Gin hat einen eigenartigen Nachgeschmack. Aber trinken kann man ihn und ich mag keinen Whisky.«
Wir saßen schweigend da, nippten an unseren Drinks und rauchten.
»Ich fühle mich beschissen, Daddy. Ich habe ja nie richtig die Wärme einer liebenden Familie zu spüren bekommen, aber jetzt fühle ich gar nichts mehr. Ich war nur eine Marionette in deinem kranken Spiel, weil du zu rassistisch warst, dich zu der Frau zu bekennen, die du liebst, und zu feige, dem Tod ins Auge zu sehen. Dabei ist er das Natürlichste überhaupt, die normalste Erfahrung unserer gesamten Existenz.«
»Du wurdest dazu erzogen, den Tod zu verstehen. Für den Rest von uns ist er zu schmerzvoll, um ihn zu begreifen.«
»Wie kommst du darauf, dass du so anders bist als ich? Woher willst du wissen, dass du größeren Schmerz verspürst? Ich kenne dich nicht. Ich habe keine Ahnung, wer du bist und was für dich einen Wert hat, falls es da überhaupt irgendetwas gibt.«
»Ich weiß selbst nicht, was für mich einen Wert hat. Vielleicht die Angst vor Schmerzen und Selbsthass. Wenigstens habe ich das nicht an dich weitergegeben. Zum ersten Mal sehe
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