Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
gegangen. Der Schmerz war unerträglich. Mich von ihr fernzuhalten, war der einzige Weg für mich, zu überleben.«
»Also hat sie dich geliebt und war immer für dich da und du hast sie im Stich gelassen, als sie dich am meisten brauchte, nur damit du selbst nicht leiden musstest?«
»Es klingt vielleicht lächerlich, aber so war es nun mal.«
»Meine Güte, das ist ja wirklich das Letzte.«
»Ich weiß.«
»Das ist, als besäßest du eine Blume, an deren Schönheit du dich jeden Tag erfreust, würdest dich aber weigern, sie zu gießen, aus Angst, dass nicht genug Wasser für dich selbst übrig bleibt. Also geht die Blume ein und du bist unglücklich. Du hast mit deiner Selbstsucht dein eigenes Leben zerstört.« Ich wandte mich ab und marschierte hinaus in den Garten.
Er folgte mir bis zur Tür, aber nicht weiter. »Warte. Willst du schon wieder gehen?«
»Ich weiß es nicht. Ich muss ein paar Minuten allein sein.«
»Du solltest einen Hut aufsetzen, wegen der Sonne.« Er streckte die Hand nach mir aus, als wollte er mich von dort aus, wo er stand, berühren, doch das gelang ihm nicht. Ich dachte daran, wie er früher auf der Straße gewartet hatte, um mich von der Ballettstunde abzuholen. Und ich dachte daran, wie er mir vom Auto aus nachgeblickt hatte, wenn ich zur Schule ging. Ich dachte daran, wie er mir durch den Zaun des Gemeinschaftsgartens beim Graben, Pflanzen und Unkrautjäten zugesehen hatte. Immer hatte sich irgendeine Barriere zwischen uns befunden. Aber jetzt war es zu spät, etwas daran zu ändern.
Ich ging ein Stück den Hügel hinauf, bis das Haus nicht mehr zu sehen war, und achtete darauf, meine Schritte auf dem trockenen Boden besonders laut knirschen zu lassen, um eventuelle Klapperschlangen zu verscheuchen. Und in dieser kargen Mondlandschaft erlebte ich eine Stille, die ich bisher nicht gekannt hatte. Jeder noch so kleine Laut – meine Schuhe auf dem Boden, mein Atem, mein Herzschlag – verflüchtigte sich in der sengenden Sonne, bevor er zu mir zurückhallen oder der krümelige Staub ihn aufnehmen konnte. Alles schien mit der Luft zu verschmelzen.
Tausende von Generationen rauschen vorbei, Zivilisationen steigen auf und gehen zugrunde wie in einer Zeitraffersequenz, während die Wüste einen einzigen Atemzug nimmt. Leben und Tod verlieren ihre Bedeutung. Gott weint nicht über den Verlust eines jeden Lebewesens; wenn er das tun würde, wäre die Wüste von seinen Tränen überflutet. Gott nimmt nicht einmal Notiz von uns, während er die tektonischen Platten neu mischt, die Berge wachsen und wieder zerbröckeln sieht. Und ich bin nichts. Nichts.
Als ich zurückkam, saß mein Vater reglos in einem großen Sessel. Und wartete vermutlich auf mich.
»Also hast du sie als Kindermädchen für mich eingestellt, damit sie ein Auskommen entsprechend ihrer sozialen Stellung hatte.«
»Sie war nicht dein Kindermädchen, Butterfly.«
»Ist das nicht die Bedeutung von komori ? Du warst nicht da und Mom auch nicht. Sie hat mich aufgezogen, allein, ohne dass einer von euch ihr auch nur dabei geholfen hat.«
»Setz dich doch, mein Liebling.«
»Ich bin nicht dein Liebling.«
»Bitte, setz dich. Ich muss dir etwas sagen. Ich muss es dir erklären und das wird nicht einfach.«
Ich setzte mich hin und wartete ab, während er versuchte, seine Gedanken in irgendeine Ordnung zu bringen.
»Keiko wünschte sich ein Kind. Aber ihre Krankheit machte eine Schwangerschaft unmöglich. Ich konnte nichts tun, um ihr diesen Kummer zu nehmen. Also gab ich ihr das Einzige, was ihr Leben ein wenig glücklicher gestalten konnte. Du warst mein Geschenk an sie. Du gehörtest ihr.«
Ich fing an zu weinen. »Du hast mich einfach weggegeben? Habe ich dir denn nie etwas bedeutet?«
»Es tut mir leid.«
»Aber, Daddy, was ist denn mit mir als Mensch?«
»Du warst mir das Wertvollste auf der ganzen Welt. Aber ich will mich nicht rechtfertigen. Ich will nur versuchen, es dir zu erklären, und mich bei dir dafür entschuldigen, dass ich in deinem Leben keine Rolle gespielt habe, dafür, dass ich dich meine Liebe nie habe spüren lassen. Ich hoffe, du verstehst, dass alles, was ich getan habe, aus einer guten Absicht heraus geschah, aus dem Drang heraus, jemandem zu helfen, den ich sehr geliebt habe. Und ich bin stolz, dass du all meine Erwartungen übertroffen hast und zu einer so wunderbaren jungen Frau herangereift bist. Du hattest recht. Am Ende ist doch noch etwas aus dir geworden und ich bin stolz, eine
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