Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
warum wart ihr dann nicht offiziell zusammen?«
»So einfach war das leider nicht.«
»Hä? Es hätte euch doch nichts davon abgehalten, zusammen euer Traumleben zu führen. Warum hast du sie verlassen? Du hast Mom geheiratet und ihr habt mich bekommen. Und dann hast du Mom verlassen, mich verlassen. Du bist wirklich der beschissenste Geliebte und Vater und Ehemann, den man sich vorstellen kann.«
»Wir konnten nicht zusammen sein.«
»Wieso nicht, was hat euch daran gehindert?«
»Wie du weißt, wurden wir beide in der Mandschurei geboren, einem Gebiet im Nordosten von China, das in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts von Japan annektiert wurde.«
»Ja.«
»Gegen Ende des Kriegs wuchsen die Familien von Geschäftsleuten und Regierungsmitarbeitern enger zusammen. Nahrung war knapp und die Russen rückten immer näher. Der Hunger löschte ganze chinesische Familien aus. Wir hofften alle, eines Tages in unsere Heimat zurückkehren zu können, doch noch herrschte Krieg und niemand wusste, wann Japan die Zeit und Mittel dafür finden würde, uns zurückzuholen, also blieb uns nichts anderes übrig, als abzuwarten, ob wir sterben oder gerettet werden würden.
»Und?«
»Eines Tages informierte uns die Armee, dass die Frauen und wir Kinder zurückkehren durften. Wir nahmen nur mit, was wir tragen konnten. Uns war klar, dass die, die wir zurückließen, höchstwahrscheinlich getötet oder von den Russen gefangen genommen werden würden. Die chinesischen Familien, die mit den Japanern kooperiert hatten, erwartete im besten Fall der Ausschluss aus der Gesellschaft, wahrscheinlicher aber war, dass sie verhungerten oder hingerichtet wurden. Die Familie Sasaki und ihre chinesischen Bediensteten standen einander sehr nahe, sie wollten nicht ohne sie gehen. Aber es blieb ihnen keine Wahl. Niemand konnte die Chinesen beschützen. Also schloss die Familie Sasaki ein Abkommen mit der Familie ihrer Bediensteten und nahm deren Tochter mit, die sie als ihre eigene ausgaben. Sie erhielt einen japanischen Namen, eine japanische Identität und kam mit uns.«
»Ich wusste gar nicht, dass Komori adoptiert war. Du redest doch von Komori, oder?«
»Ja. Verstehst du jetzt? Keiko war Chinesin.«
»Moment, soll das etwa heißen, du konntest sie nicht heiraten, weil sie Chinesin war?«
»Das war nicht der einzige Grund.«
»Was denn sonst? Dass sie die Tochter von Bediensteten war?«
»Wir stammten aus zwei völlig verschiedenen Kulturen.«
»Was macht das denn für einen Unterschied, verdammt? Und überhaupt, ihre Kultur war die japanische! Alles an ihr war japanisch! Sie ist in einer japanischen Familie aufgewachsen. Und außerdem habt ihr in Amerika gelebt. Im Land der tausend Möglichkeiten, in Freiheit!«
»Es gab eine Menge sozialen Druck. Bedauerlicherweise sahen die meisten Leute aus der Generation meiner Eltern Chinesen nicht mal als Menschen an.«
»Aber die Sasakis schon. Sie haben Komori adoptiert. Sie haben sie wie ihre eigene Tochter großgezogen.«
»Die Sasakis waren eine Ausnahme. Andere waren nicht so offen. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass jemals eine echte japanische Dame aus ihr würde. Die Leute gingen davon aus, dass sie Sekretärin werden würde oder Krankenschwester oder die Geliebte irgendeines Geschäftsmanns.«
»Scheiße. Und du hast das einfach so hingenommen. Du warst der ach so perfekte Sohn, der sich alles leisten konnte, der überall hingehen konnte. Wenn dir diese Liebe so wichtig war, warum hast du dich dann nicht gegen die Kultur deiner Eltern aufgelehnt?«
»Das habe ich. Ich bin ihrer Familie nach Kalifornien gefolgt und dann nach New York. Die Sasakis sind nach Japan zurückgekehrt, aber Keiko und ich sind geblieben. Wir sind zusammen durchgebrannt. Wir haben uns von der Fesseln unserer Vergangenheit befreit.«
»Diese ganze Geschichte stinkt doch zum Himmel. Das klingt alles nach einem Riesenhaufen Ausflüchte, warum du dich nicht ernsthaft an sie binden wolltest. Warum du sie besitzen, aber gleichzeitig fröhlich durch die Weltgeschichte vögeln wolltest. Und irgendwann hast du dann ein anständiges japanisches Mädchen geheiratet, ohne Rücksicht auf deine Geliebte. Du hast sie nie als dir ebenbürtig angesehen. Und als sie dann im Sterben lag, hast du sie ganz verlassen.«
»Ich konnte nicht bei ihr sein.«
»Natürlich konntest du das.«
»Nein, Butterfly. Ich konnte sie nicht sterben sehen. Es hat das Leben aus mir herausgesaugt. Dann wäre auch ich zugrunde
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