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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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klein, wie sollte sie das wissen? Vielleicht ahnte sie es, denn ihre drei Lichter brannten, und ihr Engel hielt seine Hand über sie. Sie selber dachte nicht weiter daran und sah es auch nicht, denn es ist nicht immer, daß wir unseren Engel sehen und die drei Lichter, die uns leuchten.
    Aber sonst schaute die kleine Veronika eine Menge neuer Dinge im Hause der Schatten. War es ihr doch, als sei sie zum ersten Male darin erwacht und als öffne sich eine neue Welt mit vielen verworrenen Gängen und geheimnisvollen Türen vor ihren Augen. Die himmlischen Augen zwar hatten sich geschlossen, die in den Garten der Geister blickten, aber die Augen, welche die Schwellen und Stufen im Hause der Schatten sehn, begannen sich nun bei ihr zu öffnen. Es ist dies ein kleiner Anfang von dem, was die Augen der Tiefe sind. Bei den meisten Menschen schlafen auch diese Augen wieder ein. Darum verstehn sie das Leben nicht, denn das Leben liegt hinter den Dingen, und sein Weg ist eine ungreifbare Straße.
    Viele Stufen und Schwellen sah die kleine Veronika. Man konnte gar nicht so einfach und unbehindert durch die Zimmer eilen wie früher, als man noch halb bewußt darin wohnte. Doch sie gewöhnte sich ziemlich schnell daran. Wenn man aufpaßte, ging es ganz gut, und man sprang einfach darüber weg. Nur wenn die Stufen steil und hoch waren, spazierte man lieber darum herum. Mit großer Geschicklichkeit turnten Mutzeputz und Magister Mützchen darüber hinweg, als wäre es gar nichts, oder sie schlüpften vergnüglich darunter durch. Nun muß man ja freilich bedenken, daß die Schwellen und Stufen für Mutzeputz und Magister Mützchen bei weitem nicht so gefährlich und bedeutungsvoll sind wie für ein Menschenkind, das gar zu leicht mit seinen Schicksalsfäden daran hängenbleiben und zu Fall kommen kann.
    Übrigens vertrugen sich Mutzeputz und Magister Mützchen ausgezeichnet. Es machte den Eindruck, als wenn sie sich schon seit langem kannten, und das war ja auch richtig, denn beide wohnten schon bei weitem länger im Hause der Schatten, als es die kleine Veronika bewußt getan hatte. Denn das war ja eigentlich erst seit gestern nacht, als ihre drei Lichter angezündet wurden. Ja, von Magister Mützchen konnte man beinahe annehmen, daß er schon viele hundert Jahre hier beheimatet sei, und wenn er auf seinen dünnen, verstaubten Beinen überall umherhüpfte, sah es oft so aus, als wäre er aus dem alten Mauerwerk hervorgegangen und als wären seine Hosen und sein Röckchen aus grauem Spinnweb gemacht. Nur der rote Hut übte eine überzeugend starke Eigenwirkung aus und wies darauf hin, daß sein Träger doch wohl ein selbständiges Geschöpf sein müsse. Sehr innig mit dem Hause der Schatten verwachsen war er aber unbedingt, er kannte auch alle Schlupfwinkel und machte auf eine jede Sehenswürdigkeit aufmerksam wie ein erprobter Führer. Wie anschaulich konnte er zum Beispiel erklären, daß es dem Holzwurm im alten Schrank auf ein ganz bestimmtes, überaus gefälliges Muster bei seiner Arbeit angekommen wäre – wie sicher wußte er zu begründen, warum die Spinne sich gerade in jener Ecke ihr Netz gesponnen habe, warum hier ein Mauseloch sein müsse und dort eine gebrechliche Stelle in der Wand.
    Er zeigte Veronika alle die vielen Zimmer und Gänge, und sie sah sie gleichsam zum ersten Male, denn bisher war sie nur darin gewesen, aber sie hatte sie nicht erlebt. Nun aber bemerkte sie, daß sie alle verschieden waren: In dem einen war es warm und hell, selbst dann noch hell, wenn die Fensterläden geschlossen waren, denn es war hier eine innerliche Helligkeit – in dem anderen Zimmer aber fröstelte es einen sogar im heißen Sommer, und es war dunkel darin, auch wenn die Sonne flutend hereinschien. Jedenfalls fühlte man das so deutlich, daß gar kein Zweifel darüber bestehen konnte. Mit dem Hausrat und mit den Bildern war es ganz ähnlich. Auch sie waren hell oder dunkel, warm oder kalt, und es gab Sachen darunter, die man lieber gar nicht anrühren mochte. In der Nähe solcher Dinge waren auch immer besonders viele Stufen. Wie war das alles sonderbar!
    Am seltsamsten aber schien es der kleinen Veronika, daß sie nicht mehr so frei war wie damals im Garten der Geister, wo man so viele Stimmen hörte und so viele Bilder sah, aber doch immer ganz aus sich selbst heraus wählen konnte, wohin man gerade Lust hatte zu gehen. Im Haus der Schatten aber wurde man stets ein wenig geschoben, nicht körperlich, aber doch immerhin sehr

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