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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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anders, als zum Beispiel Mama oder Tante Mariechen.
    »Bist du es, die mich gezupft hat, so daß ich herkommen mußte?« fragte Veronika.
    »Ich war es nicht, aber etwas von mir hat dich herangezogen«, sagte die graue Frau, »ich wollte dich gerne näher kennenlernen, wir sind ja Verwandte, kleine Veronika.«
    »So«, meinte Veronika nicht eben höflich und guckte sich die graue Frau genauer an. Es war also doch eine richtige Tante, und es gab verschiedene Tanten, farbige und graue, körperliche und nebelige. Es war nur gut, daß man das wußte.
    »Falle nicht, kleine Veronika, es gibt hier so viele Stufen und Schwellen«, sagte die graue Frau und setzte sich auf einen alten Stuhl mit hoher Lehne. »Du kannst dir hier alles betrachten, wenn es dir Spaß macht, nur mußt du etwas vorsichtig sein.«
    »Ich gebe schon acht«, meinte Veronika, »Magister Mützchen ist auch dabei und sieht nach mir, es kann mir gar nichts geschehen.«
    Magister Mützchen lief emsig hin und her und schlenkerte voller Unruhe mit den dünnen Ärmchen.
    »Ach, kleine Veronika, immer kann Magister Mützchen dir nicht helfen«, sagte die Frau und seufzte.
    »Warum sperrst du dich eigentlich hier im grünen Zimmer ein, das ist doch langweilig?« fragte Veronika, »ich habe dich noch nie wo anders gesehen. Spazierst du gar nicht einmal durchs Haus oder in den Garten?«
    »Ich bin lange nicht ausgegangen, Veronika.«
    »Du mußt mehr spazierengehen, es ist nicht gesund, immer in dem dumpfigen Zimmer zu sitzen«, sagte Veronika und kam sich sehr klug dabei vor, die neblige Tante zu beraten.
    »Ich kann wohl fortgehen, Veronika, aber ich muß immer wiederkommen. Ich muß über diese eine Schwelle gelangen, siehst du, und ich kann es nicht. Nein, ich kann es nicht!«
    Die graue Frau im Sessel sank in sich zusammen, und ihr Gesicht hatte einen so gequälten Ausdruck angenommen, daß es Veronika ehrlich leid tat.
    »Ich kann gerade an dieser Schwelle, auf die du zeigst, nichts Besonderes finden. Die ist gar nicht so hoch und eklig, als du es dir denkst. Paß einmal auf, wie ich über sie hinüberspringe!«
    »Tu das nicht, Veronika«, rief Magister Mützchen, »über diese Schwelle sollst du jetzt nicht mehr gehen, sonst gleitest du wieder in den Garten der Geister und zur silbernen Brücke. Du bist ja eben erst daher gekommen, und es wäre zu früh, schon heute zurückzukehren. Du mußt nun geduldig sein und eine ganze Weile im Haus der Schatten bleiben. Es sind viele andere Stufen und Schwellen da, über die du künftig gehen mußt.«
    Veronika trat gehorsam von der Schwelle zurück.
    »Soll denn die graue Tante da hinüber?«
    »Sie sollte es wohl, aber sie kann es nicht«, sagte Magister Mützchen leise, »bei ihr ist es etwas anderes, sie ist schon allzulange im Haus der Schatten gewesen.«
    Veronika überlief es seltsam. Das grüne Zimmer kam ihr kälter und dunkler vor als alle anderen.
    »Ich möchte nicht so allein hier sein wie du«, sagte sie. Die graue Frau schüttelte den Kopf.
    »Ich bin nicht einsam, Veronika«, sagte sie, »es sind noch viele andere da – schau her.«
    Ein fahles, blaues Licht kroch langsam an den Wänden entlang, es füllte den ganzen Raum, und nun sah Veronika, daß die graue Frau nicht mehr allein war. Auf allen Stühlen saßen Gestalten in altmodischen Trachten, die zu der Kleidung der grauen Frau paßten. Sie redeten aber nicht und bewegten sich seltsam lautlos, wie Puppen. Manche von ihnen hatten eine große Ähnlichkeit mit den Bildern an der Wand, und ein schlanker junger Herr mit Dreispitz und Degen erinnerte Veronika ein wenig an Onkel Johannes. Aber er war doch anders. Wie sollte auch Onkel Johannes hier unter alle die fremden Leute kommen? Er saß wohl eben in seinem Gartenhause und las. Im übrigen war er es ja überhaupt nicht – doch Veronika mußte sehr stark an ihn denken.
    Die vielen Gestalten, die nun auf den Stühlen saßen, erschienen Veronika aber nicht so wirklich wie die graue Frau. Gewiß, auch die graue Tante war so ein bißchen nebelig und anders, als man es sonst ist. Doch sie war da, und man konnte sich immerhin mit ihr unterhalten. Die anderen dagegen glichen luftigen Bildern, und sie sahen aus, als seien sie mit verwaschenen, blassen Strichen in den leeren Raum gemalt. Die graue Frau neigte sich jedoch bald zu dieser, bald zu jener Erscheinung und tat, als wenn sie mit jeder etwas zu sprechen habe. Sie war vollkommen damit beschäftigt und sah nicht mehr zu Veronika hin.
    Mit einem Male

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