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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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fühlte Veronika eine eisige Kälte. Ein Grauen packte sie, sie lief zur Tür hinaus und schlug sie hinter sich zu.
    Neben ihr stand Magister Mützchen.
    »Siehst du«, meinte er mißbilligend, »das ist keine Gesellschaft für dich, Veronika.«
    »Ich dachte es nicht, daß solche Leute hier wohnen«, sagte Veronika, »sind die denn auch richtig lebendig? Mir kam es gar nicht so vor.«
    »Nur die graue Frau ist lebendig«, sagte Magister Mützchen, »die anderen sind eigentlich gar nicht da, mußt du wissen – es sind bloß ihre Gedanken, die sie immer wieder um sich herum spinnt. Sie sitzt schon lange darin und kann nicht über die Schwelle gehen. Mutzeputz und ich, wir nennen es nur das Bilderbuch der grauen Frau, aber wir sehen es beide nicht gerne.«
    »Das ist kein schönes Bilderbuch«, meinte Veronika, »ich verstehe nicht, warum die graue Tante sich das so gerne besieht. Kann man ihr nicht ein anderes Bilderbuch geben?«
    »Ja, siehst du, Veronika«, sagte Magister Mützchen, »in dem Bilderbuch sind die Gestalten, mit denen die graue Frau einmal hier im Hause gelebt hat, auf dieser Erde, verstehst du, so wie du jetzt auf dieser Erde bist. Nun sind sie alle gestorben, wie man das so nennt, und die anderen sind längst über die Schwelle gegangen. Nur sie hat es nicht gekonnt, und nun wohnt sie zwischen zwei Welten mit ihrem Bilderbuch. Es ist eine alte Geschichte, ich darf sie dir noch nicht erzählen, Veronika.«
    »Ich mag sie auch nicht hören, ich finde dies Bilderbuch schrecklich, ich habe Angst davor und will es nicht wieder sehen.«
    »Du mußt nicht ins grüne Zimmer gehen«, sagte Magister Mützchen, »du weißt es ja, daß Mutzeputz und ich nicht dafür waren. Das Bilderbuch ist nur im grünen Zimmer, wahrscheinlich sind deswegen auch die Mäuse ausgezogen. Sie waren wohl auch der Meinung, daß es nichts für ihre Kinder sei. Die graue Frau wandert hier natürlich auch sonst umher, aber das tut nichts. Vor ihr brauchst du keine Angst zu haben, sie wird immer sehr freundlich zu dir sein. Nun wollen wir zu deinen Puppen gehen, sie haben sich gewiß schon einsam gefühlt.«
    »Mutzeputz wird sich um sie gekümmert haben«, meinte Veronika vertrauensvoll, »er sieht ja überall nach, ob alles in Ordnung ist.«
    »Ja, auf Mutzeputz kann man sich verlassen«, sagte Magister Mützchen.
    Mutzeputz rechtfertigte diese hohe Meinung. Er saß mitten unter den Puppen, als Veronika und Magister Mützchen ins Kinderzimmer traten.
    »Es ist gut, daß ihr endlich kommt«, meinte Mutzeputz, »Peter und Zottel warten schon lange auf euch.« »Ich danke dir, daß du auf meine Puppen aufgepaßt hast«, sagte Veronika.
    Dann reichte sie Peter die Hand.
    »Guten Tag, Peter«, sagte sie.
    Peter war älter als Veronika und hätte eigentlich zur Schule gehen müssen. Aber er konnte das nicht. Er war blöde und begriff unendlich schwer. So half er mitunter seinem Vater im Garten, so gut es ging, und spielte viel mit Veronika. Auch mühte sich Onkel Johannes sehr um ihn und versuchte, ihn einiges zu lehren.
    Jetzt kam Zottel herbei und gab die Pfote. Zottel war Peters Hund, ein Geschöpf mit vielen langen Haaren, die ihm auch über das Gesicht hingen, so daß man meistens nur ein Auge sah. Veronika kämmte und bürstete ihn und machte ihm gern einen Scheitel. Zottel und Mutzeputz kannten und schätzten sich. Kluge und weitblickende Leute sind über Rassenfeindschaft erhaben. Dafür waren Mutzeputz und Zottel ein schönes Beispiel.
    »Dies ist Magister Mützchen«, erklärte Veronika.
    Zottel schaute mit einem Auge auf Magister Mützchen und wedelte mit dem Schwanz. Die Tiere sehen ja meist etwas von den anderen Welten. Aber Peter entdeckte nichts von Magister Mützchen und konnte Veronika nicht verstehen. Er war eben schon älter und hatte die inneren Augen nicht mehr, die Veronika noch besaß. Vielleicht hatte er sie auch niemals gehabt. Er war ja in vielem so schwerfällig.
    »Kannst du Magister Mützchen nicht sehen?« fragte Veronika.
    Peter schüttelte stumm den Kopf, und in seine Augen trat der hilflose Ausdruck, den er stets hatte, wenn er etwas nicht verstand. Seine Hand faßte zärtlich in Zottels Fell. Die große Liebe und Ergebenheit des Hundes war für den Blöden irgendwie ein Halt. Veronika war es gewöhnt, daß Peter vieles nicht sah, von dem sie redete. Sie schilderte dann geduldig Einzelheiten.
    »Magister Mützchen ist klein und nett, ich habe mich lange mit ihm unterhalten. Er ist so klein, siehst du« –

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