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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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merklich. Gewiß, man brauchte nicht allemal nachzugeben, aber man tut es allzu leicht, denn das ist ja naheliegend, wenn es einen plötzlich an die Schulter tippt und irgendwohin schiebt. Manchesmal bemerkte Veronika auch, wie Magister Mützchen sie ablenkte, wenn es sie in dieser Weise fortziehen wollte. Sehen konnte man niemand, der das tat, man konnte es nur fühlen, wie man Strömungen fühlt in einem Flusse, in dem man schwimmt. Es war ganz lustig, so angetippt und leise hin und her geschoben zu werden, es war voller Leben und gleichsam eine Einladung nach der anderen. Man wollte eigentlich nicht selbst – es wollte in einem –, und überall gab es ja auch etwas zu sehen.
    Ach, kleine Veronika, es wird nicht immer so lustig sein, geschoben zu werden. Über viele Stufen wird es dich ziehen, die steil und mühsam sind, und über manche Schwelle wird es dich zwingen, vor der dir graut.
    Jetzt fühlte Veronika wieder, wie es sie leicht an der Schulter berührte und mit sich zog. Sie folgte durch einige Zimmer und Gänge, indessen Magister Mützchen ein wenig ängstlich um sie herumhüpfte. Es war, als wolle er sie zurückhalten, denn immer wieder sprang er ihr in den Weg, aber offenbar konnte er nichts dagegen machen – es gab eben starke Gewalten im Haus der Schatten. Wer wußte das besser als Magister Mützchen? Er hatte ja schon viele hundert Jahre hier gewohnt.
    Die kleine Veronika schritt durch den langen, etwas düsteren Saal, der nur selten benutzt wurde und in dem die alten Möbel steif und feierlich standen; und nun war eine Tür vor ihr, durch die sie noch niemals gegangen war. Die Türe war angelehnt, und drinnen im Zimmer schien sich niemand zu befinden. Veronika begann das Herz zu klopfen, sie wußte selbst nicht warum. Angst hatte sie eigentlich nicht.
    »Es schiebt mich so wunderbar dort hinein«, sagte sie und sah Magister Mützchen dabei an. Mutzeputz konnte sie eben nicht um Rat fragen, er war beruflich verhindert und sah irgendwo nach, ob alles in Ordnung war.
    »Das ist das grüne Zimmer«, erklärte Magister Mützchen, »es sind viele Bilder darin, aber keiner im Hause mag es leiden. Es wäre besser, Veronika, wenn du noch nicht über diese Schwelle gehen würdest. Auch Mutzeputz ist durchaus gegen dieses Zimmer eingenommen, er hat sich sehr abfällig darüber geäußert. Ja, ich hörte einmal, wie er sagte, sogar die Mäuse wären dort ausgezogen. Ich möchte dir das Nähere nicht erläutern, es ist besser, wir gehen zu deinen Puppen und du machst mich mit ihnen bekannt.«
    Die kleine Veronika aber zog es seltsam stark in das grüne Zimmer. Vorsichtig öffnete sie die Türe ein wenig weiter und schlüpfte hindurch.
    Die Fensterläden waren geschlossen, und man mußte sich erst an das Halbdunkel gewöhnen, das darin war. Vereinzelte Sonnenfäden spannen sich durch die Dämmerung, sie blitzten hier und dort an den blanken, bronzenen Beschlägen und dem grünen Brokat der Möbel auf oder malten helle Flecke auf die verblichenen Farben alter Bilder. Es hingen viele Bilder an den Wänden, die Frauen und Männer in sehr verschiedenen Trachten darstellten, und alle sahen sie Veronika an. Es war ein bißchen ungemütlich hier.
    »Wir wollen nun wieder gehen«, erinnerte Magister Mützchen und zupfte Veronika am Kleid.
    Doch zum Gehen war es zu spät.
    »Guten Tag, Veronika«, sagte eine Stimme hinter ihr.
    Veronika sah sich um. Eine junge, schöne Frau stand vor ihr, aber keine richtige Frau, wie sie sonst welche gesehen. Die Frau war gleichsam aus grauem Rauch gebildet, und als Veronika sie betrachtete, bemerkte sie, daß es die gleiche schöne Frau war, vor deren Bildnis sie stehengeblieben war. Nur war sie ohne alle Farben, die sie auf dem gemalten Bilde an sich hatte.
    Veronika war etwas erschrocken, aber eigentlich nicht sehr. Es kam ihr das nicht sonderbarer vor als Magister Mützchen oder die vielen Schwellen und Stufen, die sie sah. Es gab ja überhaupt eine Menge Tanten. Warum sollte es nun nicht einmal auch eine solche geben, die ein bißchen durchsichtig und nebelig war? Sie sah ja auch sehr freundlich aus, und man brauchte gewiß keine Angst zu haben.
    »Das ist hübsch von dir, daß du mich besuchen kommst, kleine Veronika«, sagte die graue Frau und lächelte. Es war ein schönes, gewinnendes Lächeln, ganz ähnlich, wie das alte Bild im Goldrahmen lächelte. Man vergaß das so leicht nicht wieder.
    Veronika fand Gefallen an dieser Tante. Außerdem war sie so spaßhaft angezogen, ganz

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