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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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verworren. Heinrich mußte darum außer Landes fliehen, es war sehr traurig, aber es war wohl besser für ihn.«
    »Er ging nach Paris«, sagte Johannes Wanderer, »er hat dich später nicht mehr geliebt, Helga, nicht so, wie du denkst. Er sah es ein, daß es nur eine Leidenschaft war, ein Umweg von den vielen, die wir machen – wie hätte es auch sonst in Blut enden können? Die Liebe endet nicht so. Er liebte ein anderes Mädchen, er begriff, daß diese seine Schwesterseele war ...«
    »Wie hieß sie?« fragte die graue Frau erregt.
    »Ist das nicht gleichgültig, Helga? Was ist ein Name? Vergänglich wie alles andere. Nur der eine Name bleibt uns, der von Leben zu Leben geht. Damals hieß sie Madeleine de Michaille. Es ist belanglos, ich sage dir das alles nur, damit du Heinrich vergessen lernst.«
    »War sie schön, und war er glücklich mit ihr?«
    »Ich glaube wohl, daß sie schön war. Aber die kleine Michaille ist längst gestorben, Helga. Er war glücklich mit ihr und hat sie sehr geliebt, sie und das Leben, das so lustig war in Paris. Aber an seinem Leben war Blut, und du weißt es ja, warum. Ach, wir sind alle töricht gewesen, Helga, auch du. Er hat es gesühnt. Als die roten Horden durch die Straßen von Paris zogen, starb er auf dem Schafott, und sie mit ihm. Der Tod hat sie getraut.«
    Ein Schauer überlief die graue Frau, und ihre Gestalt sank seltsam in sich zusammen.
    »Das war das letzte, was ich über ihn hörte«, sagte sie, »und dann schlief ich hier ein und wachte so verworren wieder auf. Ich kann mich seitdem nicht mehr genau besinnen. Aber sie kommen ja alle jeden Tag zu mir, und wir sprechen darüber, wie es einmal war. Nur von dem, was du aus Paris erzählst, weiß Heinrich mir nichts zu sagen.«
    »Weil du mit seinem Bildnis redest, nicht mit ihm«, sagte Johannes Wanderer, »du mußt versuchen, es zu verstehen, Helga. Es hängt so viel davon für dich ab, daß du es endlich begreifst.«
    »Ich will mich bemühen«, sagte die graue Frau, »aber wo ist Heinrich, wenn ich nur mit seinem Bildnis spreche?«
    »Er ist auf der Wanderschaft. Er ist über die Schwelle gegangen in eine andere Welt und ist über die Schwelle wieder zurückgekommen zu einer neuen Wanderung. Wir wandern alle und suchen, um zu finden. Nur du bist stehengeblieben, Helga, und hast dich verirrt.«
    »Wenn du auch wanderst und suchst, was hast du gefunden, Johannes?«
    »Ich habe manches gefunden, aber man muß sich bescheiden, es bleibt noch vieles übrig, was zu suchen und zu finden ist. Nur wandern muß man und nicht stehenbleiben.«
    Die graue Frau stützte den Kopf in die schmalen, langen Hände.
    »Du bist doch nicht Heinrich«, sagte sie, »er sprach nicht so, wie du jetzt sprichst. Ich habe viel Vertrauen zu dir, Johannes, aber lieben könnte ich dich nicht, wie ich Heinrich geliebt habe.«
    »Das ist wohl richtig so, Helga. Zwischen Heinrich und Johannes liegt ein weiter Weg. Man soll ihn nicht noch einmal zurückgehen.«
    »Ob du Heinrich oder Johannes bist – du lebst jetzt auf dieser Erde, und ich, sagst du, zwischen den Welten. Ich glaube das wohl, denn die anderen sehen und hören mich nicht. Wie kommt es, daß du mich hören und sehen kannst, Johannes – du und die kleine Veronika, die heute hier war?«
    »Veronika ist noch nicht solange über die Schwelle zurückgekommen, Helga, und sie hat noch die inneren Augen, die hinter die greifbaren Dinge sehn. Ich aber habe auf meiner Wanderung gelernt, die Augen wieder zu erwecken.«
    »Ist das sehr schwer, Johannes?«
    »Ja, es ist sehr schwer. Nur wenige wollen es lernen, denn es werden große Opfer von einem verlangt. Aber wenn man es gelernt hat, ist man über manche Stufe gegangen und kann Menschen und Tieren helfen. Es ist dies eine schöne Aufgabe, und sie ist mehr wert als das, was die Menschen Glück nennen. Ich will ja auch dir helfen, Helga, du mußt es nur selber wollen.«
    »Ich will es gewiß«, sagte die graue Frau, »ich sehne mich sehr nach Hilfe, lange schon. Aber es müßte schon ein Wunder geschehen, daß ich über die Schwelle gehen könnte, Johannes. Sie scheint mir sehr groß und sehr hoch zu sein.«
    »Es geschehen jeden Tag Wunder«, sagte Johannes Wanderer.
    »Vielleicht«, meinte die graue Frau, »aber siehst du, als wir hier zusammen lebten – ach, ich weiß ja nicht, ob du es warst oder nicht –-, wir glaubten nicht an Wunder, Johannes. Wir haben viel darüber gespottet. Wir lachten auch über die Kirche. Jetzt, wo ich zwischen

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