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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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träumen als fassen kann. Es ist ein Geheimnis, und ich erzähle sonst keinem davon, außer Esther, denn sie muß es ja wissen, warum ich nicht zu Hause sein darf und wandern muß. Ich weiß, daß Sie nicht darüber lachen werden, Sie können ja wohl etwas hinter die Dinge sehen. Es ist nicht darum, weil ich verdienen muß, daß ich noch wandere und den schweren Kasten schleppe. Er ist sehr schwer, und ich kann es verstehen, daß Sie ihn mir nicht mehr wünschen. Gewiß verdiene ich etwas dabei, denn alle kaufen noch bei mir, aus einer alten Gewohnheit, Johannes, ich weiß das gut, weil sie als Kinder schon bei mir kauften, nicht, weil ich bessere Ware habe. Aber es lohnt doch heute nicht mehr sonderlich, und es ist eine arge Mühe. Es ist auch nicht darum, daß ich wandere, weil ich nicht gerne bei Esther und bei der kleinen Rahel wäre. Viel, viel lieber wäre ich dort. Das alles ist es nicht. Sehen Sie, Johannes« – Aron Mendels Stimme wurde leise, als ginge er auf geweihtem Boden –, »es ist um Rahels willen, und weil der Tempel zerstört ist, darum muß ich wandern.«
    »Sie denken, daß Sie am Tempel bauen, wenn Sie Ihre Bürde schleppen?« fragte Johannes Wanderer.
    Aron Mendel schüttelte den Kopf.
    »Der Tempel ist zerstört, Johannes. Wer weiß, wann er wieder erbaut wird? So meine ich es nicht. Aber es ist ein Fluch über uns, weil der Tempel zerstört ist, wir sind Verstoßene und schleppen unsere Bürde im Staub der Straße. Die, welche es nicht tun, sind verblendet, denn sie sühnen den zerstörten Tempel nicht, und der Gott unserer Väter wird sie heimsuchen. Doch es kann einer für den anderen tragen, und wenn ich den schweren Kasten über die Straßen schleppe, so sage ich mir: du tust es für Rahel, daß du diese Bürde trägst. Ich bin zu alt, und von mir würde es Gott nicht fordern, um meiner Sühne willen nicht mehr. Ich bin ja ein Leben lang auf der Straße gewandert und habe mitgetragen am Fluch der Verstoßenen. Wenn ich jetzt wandere und mich mit dem schweren Kasten mühe, so ist es für Rahel, und ein jeder Schritt, den ich mache unter der Bürde mit gekrümmtem Rücken, nimmt etwas vom großen Fluch für Rahel hinweg. Ich will Gott auch für sie versöhnen, ich will nicht, daß sie eine staubige Straße wandern und daß sie den Fluch der Verstoßenen schleppen soll. Ihre Schultern sollen frei sein, ihr Nacken ungebeugt, ihre Füße sollen auf dem Teppich der Wiesen gehen, und wenn die dunklen Geister der Rache nach ihr greifen, soll sie lachen können und sagen: der alte Aron Mendel hat für mich gesühnt! Sehen Sie, Johannes, das ist das Geheimnis, warum ich wandere.«
    »Es ist sehr gut und sehr groß, wie Sie denken, Aron Mendel, aber ich kann den Gedanken der Sühne nicht ganz so düster auffassen, wie Sie es tun. Die alten Kulturen sind vergangen, es ist eine Zeitenwende geschehen, aus dem Fluch muß der Segen gestaltet werden, und aus der Bürde ihr Sinn. Auch Rahel wird ihre Bürde tragen müssen wie wir alle, Sie können sie ihr nicht ganz durch ein Opfer nehmen. Aber die Kraft der Liebe, mit der Sie für Rahel wandern, wird ihr helfen, die Bürde des Lebens auf sich zu nehmen. Solch eine Liebe ist mehr als ein Opfer. Güte ist der höchste Grad der Kraft, den ein Mensch erreichen kann, denn sie ist vom Wesen Gottes.«
    »Das ist alles wahr«, meinte Aron Mendel, »aber ich kann nicht so ganz so denken, wie Sie denken, Johannes. Es bleiben noch Rache und Opfer und der Fluch der Verstoßenen. Der zerstörte Tempel muß gesühnt werden. Ich sühne für Rahel, wenn ich wandere, ich sühne auch für Rahel, wenn ich mich kasteie. Sehen Sie, Johannes, Sie finden es gewiß immer ein wenig sonderbar, wenn ich so ängstlich bin in belanglosen Dingen und wenn ich am Werktag mich scheue, weißes Brot zu essen. Es ist nicht Geiz oder Eigensinn, wenn ich mir manches versage. Es ist für Rahel, denn was ich für sie entbehre, wird sie in Fülle haben. Ich muß nun wieder gehen, Johannes, und muß weiterwandern für die kleine Rahel.«
    Johannes Wanderer wurde es traurig zumut.
    »Wollen Sie denn immer wandern, Aron Mendel?«
    »Bis mir Gott am Ende meiner Tage die Bürde abnimmt.«
    »Kann sie Ihnen nicht auch eher genommen werden?« fragte Johannes Wanderer.
    Aron Mendel lud den schweren Kasten wieder auf die Schultern.
    »Wenn die Bürde so leicht wird, daß sie kein Opfer mehr ist«, sagte er, »dann will ich aufhören, zu wandern. Das wäre ein Zeichen Gottes. Aber geschehen heute noch

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