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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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schade, daß Mama, Tante Mariechen und Peter ihn gar nicht bemerken. Sie sehen mich so komisch an, wenn ich von ihm spreche. Nur Peter glaubt es.«
    »Es ist gut für Peter, daß er vieles glaubt«, sagte Johannes Wanderer, »dann werden seine drei Lichter richtig brennen, auch wenn er sie nicht sieht.«
    »Ich sehe den Engel und die drei Lichter auch nicht immer«, meinte Veronika.
    »Das ist auch nicht nötig, Veronika. Dein Engel achtet auf sie, und wenn du größer wirst, kannst du es selbst lernen, auf sie zu achten.«
    »Onkel Johannes, wo sitzt Magister Mützchen jetzt? Kannst du das sagen?«
    Es war wie ein leiser Zweifel, der in Veronikas Seele aufstieg, ob Onkel Johannes auch wirklich alles das sah oder ob er es nur so sagte, wie es viele Erwachsene tun.
    »Magister Mützchen hockt vor dem Spiegel und zieht seinen Mund so lang, daß er zu beiden Ohren reicht«, sagte Johannes Wanderer.
    »Ist das nicht reizend?« rief Veronika voller Bewunderung, »aber du bist wirklich sehr klug, Onkel Johannes. Bist du eigentlich noch klüger als Mutzeputz? Das wäre doch gar nicht auszudenken!«
    »Ich würde jetzt gerne lesen«, sagte Johannes Wanderer, »und was Mutzeputz und mich betrifft, so wage ich es nicht, Vergleiche anzustellen. Mutzeputz ist ja auch zugegen, und er könnte das hören.«
    »Mutzeputz schläft, er hat die Pfote vor die Augen gelegt«, meinte Veronika, »wenn er so daliegt, schläft er sehr tief.«
    »Wer weiß, ob das ganz sicher ist«, sagte Johannes Wanderer, »Mutzeputz ist jedenfalls sehr klug und eine hochachtbare Person. Ich denke, daß er manches weiß, was ich nicht kenne, und daß vielleicht auch ich einiges erfahren habe, was ihm noch neu sein könnte. Damit will ich mich natürlich nicht über Mutzeputz stellen, das wäre ja sehr anmaßend.«
    »Onkel Johannes, Mutzeputz schnurrt. Er hat es also doch gehört, was du gesagt hast. Aber du bist auch sehr klug und ich werde dich jetzt heiraten. Willst du?«
    »Sehr gerne«, sagte Johannes Wanderer, »aber ich darf wohl dabei weiterlesen, nicht wahr?«
    »Natürlich, Onkel Johannes, bleibe nur sitzen. Ich mache das ganz einfach mit den Puppen. Diese Puppe bist du, und die andere bin ich, und nun werde ich uns beide trauen.«
    Veronika stellte die Puppen zusammen und dachte nach.
    »War das nicht schon einmal?« fragte sie leise und ein wenig ratlos, als sei ihr etwas eingefallen, was unklar und noch nicht greifbar war.
    »Mache das nicht mit den Puppen, Veronika«, sagte Johannes Wanderer und sah von seinem Buche auf. »Stelle zwei Stühle für uns hin, aber nicht die Puppen. An die Puppen kommen so leicht allerlei Schatten heran und heften sich an sie und wachsen, größer, als du sie haben willst.«
    »Tu die Puppen fort, Veronika«, sagte Mutzeputz und zupfte Veronika mit der Pfote am Kleid, »es ist ein bläulicher Schein im Zimmer, wie beim Bilderbuch der grauen Frau.«
    »Sieh nur«, rief Veronika erschreckt, »die Puppen sehen jetzt wirklich ähnlich aus wie du und ich, Onkel Johannes, nur haben sie so seltsame Kleider bekommen, wie die graue Frau und die anderen auf den alten Bildern.«
    »Veronika, höre auf«, sagte Johannes Wanderer, klappte sein Buch zu und stand auf.
    Es war ganz blau geworden im Zimmer, wie Mondschein, der in wogenden Nebeln webt. Im blauen Schein stand eine schwarze Schwelle, finster und fremd. Von ferne hörte man Trommeln, erst leise, dann anschwellend und drohend.
    »Geh nicht über die Schwelle, Veronika«, rief Magister Mützchen.
    Aber die Schwelle bewegte sich und kam auf Veronika zu und die Puppen wuchsen, sie regten und dehnten die Glieder.
    Und dann klang es, gedämpft wie durch dicke Stoffe, aber sehr nahe, als würde im Nebenzimmer gesungen, aus rauhen Kehlen:
    »Allons, enfants de la patrie, de la patrie ...!«
    Unter Trommelwirbel tat sich die Türe auf, eine Gestalt in zerlumpter Uniform, mit einer roten Kokarde am Hut, schaute herein und sagte etwas. Es war, als ob sie Namen aufriefe, und durch den Trommelwirbel und den Gesang, der ferner geworden war, hörte Veronika es deutlich:
    »Citoyenne Madelaine Michaille! Citoyen Henri ...«
    »Nein, ich will das nicht, ich will das nicht!« schluchzte Veronika und barg das Gesicht in den Händen, »ich will nicht, daß man uns abholt! Noch nicht, noch nicht!«
    Johannes Wanderer fing Veronika in den Armen auf, ehe sie ohnmächtig wurde, und trug sie hinaus in ihr Schlafzimmer. Magister Mützchen lief eilig hinterdrein, und Mutzeputz folgte fauchend,

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