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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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gefragt, warum das sein muß, denn gewiß ist manche Bürde zu schwer, wie auch Ihr Kasten zu schwer ist für einen alten Mann.«
    »Ich habe mich daran gewöhnt«, sagte Aron Mendel einfach.
    »Ja, man gewöhnt sich, aber das kann nicht der Sinn der Bürde sein. Ich habe viel darüber nachgedacht, und mir scheint es, der Segen der Bürde liegt darin, daß einer am anderen erkennt, daß wir Menschen und Brüder sind. Nicht das allein ist es – es sind auch verborgene Fäden alter Zeiten, die uns verknüpfen, aber ich glaube nicht, Aron Mendel, daß Ich Ihnen nähergetreten wäre, wenn es mich nicht ergriffen hätte, daß Sie diese Bürde über die staubigen Straßen schleppten. Wenn wir die Bürde begreifen, so denken wir, sofern wir Menschen sind, nicht mehr an ein Volk, an Kirche und Stand, sondern nur an den Menschen und an das, was uns alle verbindet, die wir eine Bürde tragen. Ist das nicht der Beginn vom Wiederaufbau des zerstörten Tempels?«
    »Es gibt auch solche, die Bürden nicht sehen, und solche, die einen darum verachten«, sagte Aron Mendel bitter.
    »Das sind die, welche noch unten am Berge sind. Sie leben im Glanz und haben noch keine Bürde getragen. Je höher man zum Gipfel gewandert ist, um so mehr erkennt man die Bürde bei Menschen, Tieren und Pflanzen, und in denen, welche sie tragen, sieht man den Bruder. Ich glaube, Aron Mendel, um diese Erkenntnis gibt man seine Bürde nicht mehr her. Ich will damit nicht sagen, daß ich Sie gerne auf der Landstraße sehe, weiß Gott nicht. Ich sprach nur vom Sinn der Bürde, wie ich es mir gedacht habe. Ich habe auch nichts gegen die Landstraße, ich weiß es, daß man weit mehr auf ihr lernen kann als in einem satten Leben. Aber Sie sind nun zu alt dazu geworden. Ist es denn nötig, daß Sie sich noch weiter mit diesem schweren Kasten schleppen? Bleiben Sie lieber zu Hause in Ihrem kleinen Laden, und wenn Sie meinen, daß er dann vergrößert werden müßte, ich würde Ihnen gerne dabei helfen und das Geld beschaffen. Wir haben alle nicht viel, aber das ließe sich schon ermöglichen.«
    »Es ist schön, daß Sie mir das sagen, Johannes, ja, es freut mich, aber mein Laden braucht nicht vergrößert zu werden. Er ist groß genug, auch wenn ich einmal nicht mehr auf den Straßen handle – wir wollen es so nennen, wie es ist, nicht wahr? Es ist nichts Schlechtes, vielleicht das Gegenteil, denn es ist ja eine Bürde, und ich denke auch so darüber. Ich könnte gewiß zu Hause bleiben, meine Tochter Esther kann den Laden bequem allein besorgen, seit sie verwitwet ist und nur noch die kleine Rahel hat. Es ist ein großes Glück für mich, daß ich eine Enkelin habe.«
    In Aron Mendel verwittertem Gesicht leuchtete es seltsam auf von Stolz und Seligkeit, wenn er von Rahel sprach.
    »Ja«, sagte Johannes Wanderer, "aber ich finde, daß Sie gerade dort viel nötiger sind. Die kleine Rahel hat wenig von Ihnen, wenn Sie so viel auf die Wanderung gehen. Ich reise und wandere nun auch nicht mehr, weil ich hier nötig bin.«
    »Sie sind schon nötig, wo Sie sind, Johannes. Die Gartenwirtschaft hier ist groß, und wenn es auch kein richtiges Gut mehr ist, seit Regines Mann gestorben ist, die beiden Damen könnten doch nicht ohne Sie auskommen.«
    »Das ist das Geringste«, sagte Johannes Wanderer, »Regine und Mariechen haben Peters Vater, er ist ein sehr guter Gärtner, am Garten wenigstens. Ein ebenso guter Gärtner an seinem blöden Kinde ist er leider nicht. Die Seelen der Kinder brauchen ja auch noch sorgsamere Hände als die Pflanzen. Nein, es ist nicht um des Gartens willen, daß ich hierbleiben muß. Ich pflege hier einen anderen Garten, Aron Mendel, die kleine Veronika und der blöde Peter haben mich nötig. Es sind innere Dinge, die stärker sind als die äußeren, es sind Fäden, die gesponnen wurden, als wir noch nicht waren, was wir heute sind. Diese Fäden muß ich entwirren, Aron Mendel.«
    »Ich verstehe das«, sagte Aron Mendel, »es sind auch innere Dinge, warum ich wandere.«
    »Wollen Sie mir das nicht erklären?«
    Aron Mendel strich sich mit der mageren Hand über die Stirne, und seine Augen hatte wieder den seltsamen Ausdruck, als suchten sie in der Ferne das Ende einer Straße, das nicht sichtbar ist.
    »Es ist ein Geheimnis, Johannes, aber ich will es Ihnen sagen. Wir kennen uns ja lange, schon seit der Zeit, als Sie ein kleiner Schulknabe in Halmar waren, vielleicht auch noch länger, in dem Sinne, wie Sie es vorhin meinten, und den ich mehr

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