Die drei Lichter der kleinen Veronika
Eindruck, als habe sich das Wetter in all seiner Vielfältigkeit von Frühling, Sommer, Herbst und Winter in zahllosen Zeichen darin eingegraben. Seine Augen aber schauten seltsam weit hinaus, als suchten sie das Ende der Straße, das nicht sichtbar war. Er wirkte durchaus mehr als Erscheinung, wie als ein Mensch dieser Gegenden. Abergläubische Leute erzählten von ihm, er sei aus Wurzeln und aus dem grauen Moosgehänge alter Tannen herausgewachsen, er habe auch kein Heim, sondern er wandere von Zeit zu Zeit in jene Waldwildnis zurück, um sich für eine Weile wieder mit ihr zu vereinigen und neue Kräfte aus ihrer Erde zu holen. Darum sei er auch viel älter als hundert, vielleicht sogar zweihundert Jahre – man wußte das nicht genau. Die meisten hatten ihn schon gekannt, als sie noch Kinder waren, und sie kauften weiter bei ihm, obwohl es heute in Halmar schon Läden gab, welche die gleichen Waren hatten. Aber man kaufte aus einer alten Überlieferung heraus, wie man noch gerne einen verschlungenen Fußpfad geht, den man als Kind gegangen ist, auch wenn eine neue Zeit neue Straßen gebaut hat.
Aron Mendel brauchte auch seine Waren nicht mehr zu loben, sie waren selbstverständlich geworden wie er auch. Höchst sonderbarerweise wagte es auch keiner, an seinen Preisen etwas abzuhandeln, wie das sonst üblich war. Aron Mendel hatte eine Würde, die das von selbst verbot. Es war etwas an ihm von der vergangenen Größe des Alten Testaments, die sich in ein fremdes Land und in eine fremde Zeit verirrt hatte, heimatlos, vertrieben und wandernd, aber hinaufgerückt über das Maß alles Alltags, wie ein Gespenst aus der Wüste am Sinai. Es gab nur ganz wenige Leute in der Gegend, die so dumm und hochmütig waren, das nicht zu fühlen. Aber über diese sah Aron Mendel gleichsam hinweg.
Aron Mendel kam selten in die Höfe um Halmar. Er war sehr alt geworden und wanderte langsam und nicht mehr so emsig wie früher. Es schien mehr, als wenn auch er nur eine Überlieferung aufrechterhalten wolle, als daß es ihm noch besonders um den Handel zu tun wäre. Gleichsam aus solcher Überlieferung tauchte er von Zeit zu Zeit, wie aus dem Erdboden gezaubert, auf und schritt groß und dürr über die Straßen, die seine Füße so viele Jahre begangen hatten, mit dem immer gleichen Bündel auf dem Rücken.
Jahrelange Überlieferung war es auch, daß er dann im Gartenhaus bei Johannes Wanderer Rast machte und Kaffee bei ihm trank. Aron Mendel war für Johannes Wanderer ein Stück seiner Kindheit, er kannte ihn schon, als er ein kleiner Knabe war und in die Schule von Halmar ging. Sie nannten sich bei Namen, ohne Förmlichkeiten, wie alte Bekannte, die einen Weg zusammen gepilgert sind. Manches Mal ist dieses ein Weg in diesem Leben, noch weit häufiger sind es Wege aus früheren Daseinsformen, die es Menschen von verschiedenster Stellung und Artung erscheinen läßt, als kennten sie sich schon lange. Die Straße, die wir wandern, hat viele Meilensteine, und manche stehen schon aus einer grauen Vergangenheit dort, mit einer schwer enträtselbaren Inschrift. Denn alle Menschen sind ja, mit inneren Augen betrachtet, nicht nur das, was sie heute sind oder scheinen – ihr Heute ist nur ein kleiner Teil von dem, was sie waren und sein werden. Wer will wissen, ob nicht die, welche uns in diesem Leben zum ersten Male begegnen, Geschwister oder Tempelgenossen von Jahrtausenden sind? Es mag vielleicht darum gewesen sein, daß Aron Mendel, der wenig redete, viel sprach, wenn er bei Johannes Wanderer im stillen Gartenhause war.
Wie immer hatte Aron Mendel umständlich den schweren Kasten abgeladen, den Leinwandsack aufgeschnürt und aus den Schubladen die Sachen herausgekramt, die Johannes regelmäßig zu kaufen pflegte: Schokolade für Veronika, Peter und Zottel, bunte Seidenbänder für Veronikas Puppen, einen Wollknäuel für Mutzeputz, der trotz seiner inneren Reife noch gerne damit spielte, farbige Kreidestifte für den blöden Peter, der nicht schreiben, aber unbeholfen malen konnte und das sehr liebte, und schließlich noch ein phantastisches Kopftuch für Karoline. Karoline besaß eine Sammlung schrecklicher Kopftücher und trug sie wie Kriegstrophäen. Die Auswahl dieser Herrlichkeiten überließ Johannes Wanderer stets Aron Mendel allein, ohne selbst zu wählen – es war dies eine Frage des Taktes und des Vertrauens, wie bei einer ganz großen Firma, mit der man seit Jahren in geschäftlicher Verbindung steht.
Wenn der immer
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