Die drei Lichter der kleinen Veronika
dicht beieinander und spiegelten ihre bunten Kacheln in den trüben Grachten von Amsterdam. Dort malte Rembrandt van Rijn, hier wohnte Baruch Spinoza. Diese Namen kannte sie doch – oder kannte sie sie nicht mehr? War jene dicke Frau vor den blanken Kochtöpfen nicht Tante Mariechen? Wie schrecklich schnell ging das alles weiter! Nun stand sie im brokatenen Gewände, mit einer Larve vor dem Gesicht, unter lauter bunten Gestalten in einem schimmernden Festsaal. Lachen, Lichter und Musik – das war der Karneval von Florenz! Wieder war Johannes Wanderer neben ihr und wies stumm auf eine Türe. Aber sie lachte ihn aus und warf eine Rose nach ihm. Doch die Türe tat sich auf, und die Pest kam herein, ein Grinsen auf dem Totenantlitz, im klingenden Schellenkleid. Schrill brachen die Geigen ab, die Kerzen erloschen, und im häßlichen Grau der ersten Morgenstunden lagen Leichen auf den Fliesen in Festgewändern, und aus den Löchern der Masken starrten gläserne Augen. Draußen wimmerten die Glocken das Miserere. Wie befreiend war es, nach diesem entsetzlichen Bild in das kristallene Wasser zu tauchen, das sich immer wieder aufs neue zwischen die Flut des Geschehens schob und einen reinigte mit seinen kühlen Perlen! Nun war es ein griechischer Tempel, in dem Veronika stand und das Feuer hütete, das im kupfernen Becken brannte. Vor ihr am Altar kniete eine Frau – war es nicht ihre Mutter! Jetzt zeigte sich Ägyptens Wüste, und bronzene Menschen bauten emsig in sengender Sonne an ungeheuren Pyramiden. Immer war Veronika mitten darin, nur kam sie sich diesmal seltsam verwandelt vor, und ihr schien es, als sei sie ein Mann und trüge Wehrgehänge und Schwert und einen Kopfputz mit dem Bilde der Königsschlange. Neben sich sah sie den blöden Peter. Er hielt eine Tafel in der Hand und entzifferte geheimnisvolle Hieroglyphen – wie merkwürdig, denn heute konnte er weder lesen noch schreiben. Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, es huschte alles zu eilig vorüber.
Dann nahm sie das kristallene Wasser länger auf als sonst, und als sie ihm wieder entstieg, war sie in einer einsamen Landschaft mit Schneebergen in der Ferne und mit einer Blumenpracht leuchtender Farben in den Tiefen der Täler. Riesige Elefanten schritten schlürfend auf ihren Säulenbeinen an ihr vorbei und nickten mit den schweren Köpfen. Aus einem Tempel, dessen Dach ein Gewirr steinerner Ranken war, schnatterten heilige Affen, streckten die spaßhaft langen Arme aus und bettelten um ihr Almosen von Früchten. Mitten im Tempel aber war es still, ganz still, und nun saß Veronika darin, nackt bis auf den Lendenschurz aus Pflanzenfasern, als junges Mädchen vor einem alten Mann, der sie die Geheimnisse des Daseins lehrte. Ach ja, das war Onkel Johannes, und alles fiel ihr wieder ein, was er damals gesagt hatte von der Kette der Dinge, vom zerstörten Tempel Gottes und von der Wanderung der Menschenseelen auf staubiger Straße, in Demut und Ergebung und im Dienen an allem, was lebt. Wie tief war diese Stille im Tempel, wie weiß waren die fernen Schneeberge, und wie klar brannten die drei Flammen im Leuchter, der vor ihnen stand! Drei Lichter waren es, blau, rot und golden.
Die Schneeberge, die Täler und der Tempel versanken, aber der Leuchter blieb stehen. Nur diesen Leuchter sah Veronika noch vor sich, und ihren Engel, der ihn hoch vor ihr aufgerichtet hielt. Sie erkannte ihn wieder. Es war ihr Engel, und diese Flammen leuchteten ihrem Dasein. Es waren wieder die drei Lichter der kleinen Veronika, und sie glitt langsam in ihren Körper zurück und war wieder in ihrem Bett im Hause der Schatten.
Der Engel hielt seine Hand über der blauen Flamme.
Sie brannte am stärksten von allen. Aber nun zuckte sie und wurde kleiner und immer kleiner. Der Engel achtete auf sie, und jetzt neigte sie sich hinüber zum goldenen Licht in der Mitte.
Veronika lächelte friedvoll, wie Kinder lächeln, denn nun war sie ja wieder ein Kind. Sie sah sich um im Zimmer und erkannte alles. Das war wieder gewohnte Wirklichkeit, und die vielen bunten Bilder erschienen ihr wie ein ferner Traum, der immer blasser wurde, wie das blaue Licht im Leuchter, den der Engel hielt.
Vor ihrem Bett sah sie ihre Mutter, Tante Mariechen und Onkel Johannes sitzen. Auf der Diele hüpften Mutzeputz und Magister Mützchen. Mutzeputz stand aufrecht, er hatte die Vorderpfoten in die Hände von Magister Mützchen gelegt, und beide tanzten miteinander. Da mußte Veronika lachen.
»Gott sei
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