Die drei Lichter der kleinen Veronika
Dank«, sagte ihre Mutter, »das Fieber ist vorüber.«
»Nun können wir zur Ruhe gehen«, meinte Mutzeputz, »die kleine Veronika lacht wieder. Siehst du, wie gut es war, daß wir getanzt haben? Es hat sie erheitert. Wie sollte es auch jemand nicht freuen, wenn wir beide zusammen tanzen.«
Dann sprang er auf Veronikas Bett und schnurrte.
»Du bist nun wieder gesund, Veronika, nicht wahr?« fragte Tante Mariechen, »wir haben uns große Sorge um dich gemacht.«
»Veronika war nicht krank«, sagte Johannes Wanderer, »aber es ist manches Mal so, daß das eine Licht stärker brennt als die anderen.«
Da verhüllte der Engel den Leuchter mit den drei Lichtern, und Veronika schlief ein.
*
Am anderen Morgen war Doktor Gallus aus Halmar herübergekommen, um nach Veronika zu sehen. Veronikas Mutter hatte ihn bitten lassen, sie wollte gerne sicher sein, daß es nichts Ernstes war mit dem gestrigen Fieber.
Doktor Gallus war klein und sehr beweglich. Er drehte den kurzgeschorenen, grauen Kopf hin und her, und diese Bewegung sowie eine große Nase und dicke, runde Brillengläser verliehen ihm etwas Vogelartiges. Dabei sprach er seltsam schnappend, als hackte er mit einem Schnabel nach etwas, und verschluckte hastig alle Befürchtungen und Einwände, die man äußerte. Seine Ausdrucksweise war dazwischen ein wenig giftig, aber die Menschen in Halmar liebten ihn sehr, weil er keine Mühe in seinem Beruf scheute. Doch verglich man ihn allgemein mit dem alten Papagei, der bei ihm hauste, und viele nannten ihn auch so.
Doktor Gallus untersuchte Veronika genau, aber er konnte nichts finden, was bedenklich gewesen wäre. Magister Mützchen stand hinter ihm und machte alle seine Bewegungen nach. Veronika verbiß sich das Lachen.
»Du bist ja ganz vergnügt«, sagte Doktor Gallus, »du kannst nächstens zu mir kommen und meinen Papagei besuchen.«
Dann schnappte er und schob sie sanft zur Türe hinaus.
»Es ist weiter nichts«, meinte er zu Regine, »Veronika ist sehr zart, was ich Ihnen schon immer sagte, und Sie müssen vorsichtig mit ihr sein. Sie soll auch nicht zur Schule nach Halmar, wie wir das schon einmal besprachen. Sie kann ja hier im Hause Unterricht haben. Aber es liegt nichts vor, nein, nichts, also.«
»Aber sie wurde doch gestern ohnmächtig«, wandte Regine ein, »und nachher hatte sie fraglos Fieber. Sie sprach französisch, und es war eigentlich unheimlich, wie gut sie es sprach. Sie hat ja noch gar nicht so viel Französisch gelernt. Und später phantasierte sie von fremden Ländern, von Elefanten und Affen.«
»Das ist ein vorübergehender Schwächezustand«, sagte Doktor Gallus, »es liegt wirklich keine Erkrankung vor, gnädige Frau.«
»Aber das Französische, die Elefanten und Affen?« meinte Tante Mariechen, »halten Sie das für ungefährlich, Herr Doktor?«
Doktor Gallus schnappte nach Tante Mariechen.
»Wie gesagt, ja, durchaus. Ich wollte, ich hätte einmal ein Fieber, in dem ich ein bißchen besser französisch spräche, und Elefanten und Affen würde ich auch gerne sehen. In Halmar gibt es das alles nicht, nicht wahr, also.« »Es ist uns sehr schrecklich vorgekommen. Woher soll das Kind bloß etwas von Elefanten und Affen wissen, gerade weil es die hier nicht gibt?« klagte Tante Mariechen.
»Mein Himmel, es ist ja kein Säugling«, sagte Doktor Gallus, »und hier im Hause gibt es doch genug Bilderbücher, mit so was drin, nicht wahr?«
»Das gute Französisch war wirklich recht sonderbar«, meinte Regine, »das ist auch mir aufgefallen. Das andere kann ich mir schon eher erklären, wenn ich mich auch nicht besinnen kann, ob in Veronikas Bilderbüchern gerade Affen und Elefanten sind. Es könnte ja sein.«
»Ja, gnädige Frau, der Traum hat oft gesteigerte Fähigkeiten zur Folge«, sagte Doktor Gallus und wackelte mit dem Kopfe hin und her, »wenn wir das alles ergründen wollten, würden wir selbst bald Affen und Elefanten werden, und wer weiß, was sonst. Mein Papagei sagt auch häufig Dinge, die mir unverständlich sind.«
»Ich fürchte, daß Veronika unterernährt ist«, meinte Tante Mariechen.
Doktor Gallus kannte Tante Mariechen und ihre Ernährungswut und schnappte hastig nach ihr wie ein Vogel nach einem Insekt.
»Träume kommen eher aus dem vollen Magen als aus dem leeren«, sagte er gemütlos, »Veronika ist sehr zart, aber das ist ihre ganze Konstitution. Ernährt ist sie gut. Stopfen Sie sie ja nicht.«
»Veronika ißt kein Fleisch, Herr Doktor«, klagte Tante
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