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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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schade! Willst du den Wagen?«
    »Nein, danke, es ist nicht weit nach dem Hause der Schatten, und ich gehe gern meine einsamen Wege.«
    »Das tatest du immer, Johannes. Aber ich fürchte, du grübelst zuviel.«
    »Ich will das gewiß nicht tun und weiß, daß es ein Fehler wäre, aber ich mühe mich, das Leben zu begreifen, sonst kann ich nicht helfen. Das aber muß ich, und das Leben ist schwer zu verstehn.«
    Ulla Uhlberg neigte den schönen Kopf.
    »Das ist es. Lebe wohl, Johannes, komme bald wieder.«
    »Lebe wohl, Ulla. Komme einmal zu uns, wenn du Lust hast, und sei immer du selbst, dann wirst du auch Herrin über die Geister von Irreloh.«
    Ulla Uhlberg sah Johannes lange nach, bis er auf einem verwachsenen Waldweg ihr aus den Augen kam. Sie strich sich mit der Hand über die Stirne.
    »Ja, ich will ich selbst sein«, dachte sie, »ist das schwer oder leicht? Das Leben ist sicher anders, als man es sich träumt. Aber wie es auch sei, ich will es bejahen, das Leben ist ja auch mein Leben!«
    Sie rief den Diener und ließ ihr Reitpferd satteln, indes sie sich umkleidete. Sie hatte Lust, in die Heide hinauszureiten, und als das Pferd unter ihr tanzte und der Sommerwind ihr durch die Haare pfiff, fühlte sie wieder die ganze sieghafte, frohe Kraft der Jugend, und die Rätsel des Daseins und die Geister von Irreloh blieben weit hinter ihr zurück. Sie ritt schnell und hielt erst an, als sie das Haus der Schatten aus der Ferne sehen konnte.
    Drei Birken auf roter Heide standen vor ihr. Da scheute ihr Pferd und stieg. Sie hatte Mühe, es zu beruhigen, und klopfte dem Tiere den Hals.
    »Du weißt doch nicht, was hier einmal geschehen ist?« sagte sie, »oder könnt ihr mehr sehen als wir, Hassan?«
    Gab es denn überall Schatten auf den Wegen?
    »Los, Hassan!« rief sie und jagte im Galopp die Straße wieder zurück, die Augen weit in die Ferne gerichtet. Dort wartet das Leben, das Glück, im Grenzenlosen – noch war sie jung, war schön und reich und trug einen Namen auf den Lippen und im Herzen! Hassan lief, daß die Funken unter seinen Hufen aufsprangen.
    Am Straßengraben saß Aron Mendel mit seiner Bürde. Ulla Uhlberg ritt vorüber und sah ihn nicht.
    Ach, Ulla Uhlberg, wie viele jagen auf jungem Roß wie du und schaun mit trunkenen Augen der Sehnsucht in die Ferne hinaus! Ins Leben reiten sie, ins Leben! Ach, Ulla Uhlberg, so manche Ferne ist leer, und ihr reitet am Leben vorbei – das Leben sitzt still und ergeben am Straßenrand und schleppt seine mühsamen Lasten.
    *
    Veronika hatte Magister Mützchen den ganzen Nachmittag vermißt. Auch Mutzeputz wußte es nicht zu sagen, wo Mützchen geblieben war. Nun hüpfte er plötzlich ins Kinderzimmer und sprang Veronika auf den Schoß.
    »Ich habe einen Ausflug gemacht«, sagte er heiter, »ich bin in die Tasche von Onkel Johannes gekrochen und bin mit ihm zusammen in Irreloh gewesen. Ich bin sonst an das Haus der Schatten gebunden, mußt du wissen, und ich benötige irgendwo einen Anschluß, wenn ich einmal ausgehen will. Man möchte doch auch etwas anderes sehen und sich zerstreuen.«
    »Ich werde dich nächstens in meinem Beutel herumtragen«, meinte Veronika, »zum Beispiel am Sonntag in die Kirche von Halmar. Ist es nicht sehr dunkel in der Tasche von Onkel Johannes?«
    »Das tut nichts«, sagte Magister Mützchen, »es ist dort immer noch behaglicher als in Irreloh. Das ist kein gutes Gebäude, Veronika, und solche Leute wie ich könnten da nicht gedeihen. Im Hause der Schatten ist es weit lichter und besser zu leben, trotz all seiner Schwellen und Stufen, und auch das Bilderbuch der grauen Frau, obwohl es ja gar nicht nett ist, scheint mir immer noch angenehmer, als die roten Gesellen von Irreloh.«
    »Wer ist denn das«, fragte Veronika, »das klingt so unheimlich.« »Huh«, sagte Magister Mützchen, »es ist eine eklige Gesellschaft, sie hocken im alten Turm und hüten ein Feuer, das sie einmal anfachen wollen, wenn der rechte Sturm und die rechte Stunde von der See herüberkommt. Wer weiß, wann das sein wird? Ich möchte es nicht erleben.«
    »Sind das Gespenster?« fragte Veronika, und es gruselte sie ein wenig.
    »Das sind sie nicht«, meinte Magister Mützchen, »es ist schlimmer als das, denn man kann nicht mit ihnen reden. Es sind Reste von falschen Feuern, die sich zu Gebilden gestaltet haben. Es ist etwas Ähnliches wie das Bilderbuch der grauen Frau, nur ist es viel schrecklicher, weil es ein Eigenleben hat. Ich bin im alten Turm herumgekrochen

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