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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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und habe es mir genau von allen Seiten betrachtet. Drei rote Gesellen sind es, und sie sehen greulich aus. Ulla Uhlberg wird sich vor ihnen hüten müssen.«
    »Ich mag Tante Ulla eigentlich nicht«, sagte Veronika zögernd.
    »Warum nicht?« fragte Magister Mützchen und spitzte die Ohren, wie Zottel es tat, wenn ihm etwas nicht klar war.
    »Warum?« meinte Veronika. »Das weiß ich nicht. Bloß so.«
    Magister Mützchen wackelte mit den Ohren. Er konnte das wundervoll, zu Veronikas steter Freude.
    »Dann war es also gar nicht nett in Irreloh?« forschte Veronika weiter. »Bevor ich im Turm war, war es sehr lustig«, sagte Magister Mützchen und grinste unartig, »ich kroch aus der Tasche von Onkel Johannes und setzte mich auf die langen Rockschöße
    von Pastor Haller. Der Pastor sprach viel und schimpfte über den Aberglauben von Gespenstern und Männchen, gerade als ich auf ihm herumtanzte.«
    »Sah dich denn niemand?« fragte Veronika und lachte.
    »Nur Onkel Johannes«, erklärte Magister Mützchen, »und er sagte mir später, er würde mich nicht mehr mitnehmen, wenn ich so ungezogen wäre. Aber ich kann doch nichts dafür, wenn der Pastor Unsinn redet.«
    »Ich nehme dich nächstens in meinem Beutel mit«, tröstete ihn Veronika.
    *
    Die Nacht sank über die grauen Mauern von Irreloh. Ulla Uhlberg schlief und träumte von Flammen, die sie verzehrten. Im Turm hockten die roten Gesellen von Irreloh und schürten ein flackerndes Feuer unter der Asche vergangener Zeiten. An die Fenster klopften schattenhafte, blasse Gestalten und forderten das Strandgut zurück, um das sie einst ihr Leben gelassen.
    Ferne sang die See. Im Park riefen die Eulen.

6. Das Wunder der Kröte
    Es war einige Jahre später, als das Wunder der Kröte geschah. Doch es waren stille Jahre gewesen, die über das Haus der Schatten hingegangen waren, und es läßt sich nicht viel von ihnen berichten. Man könnte vielleicht schon manches vom äußeren Dasein sagen, so wie es die Menschen zu sehn pflegen im Gang ihres Alltags, aber es ist dieses ja eine Geschichte vom Leben hinter den Dingen, und wenn man es mit solchen Augen betrachtet, schaut man nur die seltenen Meilensteine, die den Seelen von unsichtbaren Händen gesetzt sind, und man liest nur ihre Zeichen und Zahlen, denn nur diese sind es, die wesentlich bleiben über die Zeit hinaus. Die Zeit ist nichts. Ein Tag kann viel sein und viele Jahre wenig. Nur wo die Wegweiser des Werdens stehn, ist etwas geschehen, was nicht vergänglich ist.
    Die kleine Veronika war größer geworden, und sie hatte manches gelernt, was sie vorher nicht gewußt hatte. Sie war zwar nicht zur Schule gegangen, weil Doktor Gallus das nicht für richtig hielt und sie immer noch eine zarte Gesundheit hatte, aber ihre Mutter und Onkel Johannes hatten sie unterrichtet. Sie war sehr stolz darauf, daß sie nun einiges wußte von dem, was die Menschen Wissen nennen. Aber es ist auch wahr, daß sie dafür etwas vergessen hatte von dem, was sie früher gewußt. Die große Dämmerung, die zuerst über sie gekommen war im Garten der Geister, hatte sich weiter um sie gebreitet, und ihre Schatten verhüllten ihr manches, was ihr einstmals selbstverständliches Dasein war.
    Auch die graue Frau sah Veronika nur noch selten, wenn sie durch die Zimmer im Hause der Schatten irrte und plötzlich in einer dunklen Ecke für Augenblicke auftauchte, um wieder rätselhaft zu verschwinden. Immer lächelte sie Veronika freundlich an, aber sie redete nur wenige Worte. Vielleicht auch verstand Veronika nicht mehr so deutlich wie damals ihre lautlose Sprache der Gedanken. Doch stets war sie um Veronika besorgt.
    »Falle nicht, kleine Veronika«, sagte sie öfters zu ihr. »Ich bin hier auch gefallen, es sind so viele Stufen und Schwellen im Hause der Schatten.«
    Veronika nickte dann und sah die graue Frau aus großen Augen an.
    Nur einmal fragte sie: »Bist du noch nicht über die Schwelle gegangen, über die du gehen willst?«
    Da hatte die graue Frau den Kopf geschüttelt und sehr traurig ausgesehn.
    »Es muß erst hell werden in der Kirche zu Halmar«, sagte sie.
    Veronika fragte sie nicht wieder. Ihr schien das bedrückend und schwer verständlich, und sie war es zufrieden, daß sie die graue Frau nur noch selten sah.
    Man muß nun nicht denken, daß die kleine Veronika so geworden wäre, wie die meisten Kinder werden, wenn sie ganz ins Diesseits hineingleiten wie die Erwachsenen. Veronika war eine sehr alte Seele und hatte zu viel

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