Die drei Lichter der kleinen Veronika
Kröte weiter, wie ein jeder Gedanke der Güte.
Johannes Wanderer hatte Veronika vom Wunder der Kröte berichtet, ruhig und mit sehr einfachen Worten. Veronika fand es ohne weiteres verständlich. Sie selber hatte auch sehr Seltsames in der gleichen Nacht erlebt. Sie hatte lange nicht schlafen können und schaute mit innerlich wachen Augen ins Weite. Draußen war das Gewitter wieder herangezogen, der Donner rollte, und blaue Blitze flammten in den dunklen, drohenden Wolken auf. Da sah Veronika, wie die Pfingstsonne durch die kämpfende Finsternis hindurchschien und eine goldene Märchenkrone auf den Kopf der Kröte malte.
Noch mehr als das schaute Veronika. Sie sah, wie Schneewittchen im gläsernen Sarge die Augen aufschlug und lächelte – und sie hörte in Sturm und Donner das Klirren von Waffen. Dort standen die Streiter von Montsalvat. Und Veronika war es, als habe der Gral auch sie zu seiner Fahne gerufen.
7. Die Toten in der Kirche zu Halmar
Es ist dies eine Geschichte von dieser und jener Welt, und darum muß ich auch von den Toten in der Kirche zu Halmar erzählen. Denn es ist ja so, daß die Toten nicht erloschen sind, wie viele es meinen in einer Zeit, die geistferne geworden ist, wie kaum jemals eine andere vor uns. Die Toten leben weiter in ihrem ganzen Wesen und wechseln nur ein grobes Gewand gegen ein feineres, und die Welt, in die sie durch das verhangene Tor eintreten, ist weit wirklicher als die Welt des Scheins, in der wir hier auf dieser Erde atmen. Es ist auch nicht so, daß die beiden Welten getrennt sind durch eine unübersteigbare Mauer. Es ist nur ein dünner Schleier, der zwischen ihnen hängt, und er lichtet sich weit häufiger, als die Menschen von heute es glauben, und es gibt viele Augenblicke, in welchen diese und jene Welt ineinander übergehen, so daß man nicht sagen kann, ob man hier oder drüben ist.
Denn die Toten bauen mit am Bau der Erde, und sie wünschen es so sehr, daß die Lebenden wieder Hand in Hand mit ihnen schaffen, wie es in vergangenen Tagen der Menschheit war. Ist nicht eine Ahnung, die wir haben, oft der Gedanke eines Toten, und ein Gefühl, das uns überkommt, Wunsch und Wille verwandter Geister? Die Toten helfen uns, und wir sollen ihnen helfen. Geschähe das nicht, die Erde würde veröden und der Spielball dunkler Gewalten sein. Aber sie soll ja durchlichtet werden mit allem, was auf ihr lebt, zu einem ewigen Frieden und zu einem Sonntag der Welt. Es ist lange bis dahin, und heute ist Werktag, und der Feiertag ist noch weit.
Ihr, die ihr heute atmet, denkt daran und leugnet die Toten nicht, die neben euch stehn. Es sind auch die Toten so vielfältig wie die Lebenden, es sind lichte und dunkle unter ihnen, und sie schaffen mit euch an euren lichten und dunklen Werken. Darum sorgt, daß eure Worte und Werke durchlichtet sind, denn was ihr redet und wirkt, ist für diese und jene Welt, für die Lebenden und für die Toten und für den Bau der ganzen Welt. Es gibt so viele Tote, die euch helfen wollen – seht nicht an ihnen vorbei. Es gibt auch so viele Tote, die eure Hilfe brauchen – versagt sie ihnen nicht. Es wandeln manche Tote hoch über euch auf den Höhen, es wohnen aber noch viele in den Tälern der Tiefe, und es sind auch solche, die nicht über die Schwelle gehn können, weil es dunkel um sie ist und sie die andere Welt nicht erfassen. Sie irren durch eure Häuser der Schatten und suchen in euren Kirchen. Aber sie finden heute wenig genug an Licht, denn es ist sehr finster geworden auf der Erde um diese Zeit der Wende.
Denkt daran, ihr, die ihr heute atmet, laßt eure Hütten und Tempel wieder hell werden für Lebende und für Tote, damit sich die Welten vereinigen zu der Menschheit Jugendland. Seht ihr es nicht selbst, wie dunkel es um euch geworden ist? Irrt nicht auch die graue Frau durch die Zimmer im Hause der Schatten, Jahr um Jahr, und suchen nicht viele andere Tote in den engen Gassen von Halmar und horchen auf die Glocken, wenn sie zum Sonntag läuten? Aber es ist kein Feiertag mehr bei euch, und es ist auch dunkel in der Kirche zu Halmar.
Zündet die Lichter an! Es harren so viele darauf, daß es hell wird. Lebende und Tote rufen danach, Menschen, Tiere und alles, was Dasein hat, sehnt sich nach Licht und Erlösung. Die Stunden, die euch heute schlagen, sind Schicksalsstunden der Welt, es ist viel Licht nötig, denn es ist allzu finster geworden. Ich muß euch das sagen, und ich muß es versuchen, euch Licht um Licht zu entzünden,
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