Die drei Lichter der kleinen Veronika
hin, Veronika«, sagte eine leise, feine Stimme aus dem Baum hervor, »du wolltest ja einmal die großen Gestalten sehen, die hinter den Erdmännchen stehen, wenn sie sich zanken. Du hast Leben geschützt, Veronika, und nun hast du etwas von den Augen der Tiefe bekommen. Schau hin, Veronika, das ist der Kampfplatz von Licht und Dunkel, es geht um mehr, als um eine arme, geängstigte Kröte, es geht um die Erlösung der Welt, um Schneewittchens Erwachen im gläsernen Sarge.«
Wahrhaftig, das war die Elfe im Baum, und nun schaute Veronika hin. Was sie sah, war groß und war grauenvoll zugleich. Auch Magister Mützchen, Mutzeputz und Zottel sahen offenbar dasselbe, denn Mützchens dünne Beine zitterten, Mutzeputz fauchte und Zottels Fell sträubte sich.
Johannes Wanderer und Eriksen redeten kein Wort. Doch es war ein erbitterter Kampf zwischen ihnen. Veronika sah es deutlich. Es waren die Augen der Tiefe, mit denen sie es schaute. Beide Männer führten Waffen, aber sie waren nicht körperlich. Eriksen hatte einen plumpen Streitkolben in der Hand und Johannes ein Schwert, und er war von Kopf bis zu Fuß in eine silberne Rüstung geschlossen. Auf seinem Helm war ein Kreuz. Das hatte Veronika noch niemals an ihm gesehen. Und beide waren sie nicht allein. Hinter Eriksen standen viele dunkle, schreckliche Gestalten, die ähnlich bewaffnet waren wie er und die ihn vorwärts drängten. Zur Seite von Johannes aber standen lauter silbergepanzerte Ritter mit gezogenem Schwert. Ihnen folgten andere, die noch weit glanzvollere Rüstungen trugen. Zwischen beiden Heerlagern hockte angstvoll und hilflos die Kröte.
Die schwarzen Wolken der Ferne waren näher gekommen, ein grellblauer Blitz flammte auf, und der Donner grollte drohend.
Veronika erschauerte. Sie hatte etwas vom großen Kampf der Geister in dieser und jener Welt begriffen.
Jetzt trat Johannes Wanderer einen Schritt vor, und Eriksen und die dunklen Gestalten wichen zurück.
Langsam löste sich das Bild auf.
»Warum soll ich andere leben lassen?« sagte Eriksen verbissen, »mein Kind ist krank, und Gott hilft ihm auch nicht.«
»Ich wußte das nicht«, erwiderte Johannes Wanderer, und es war, als drängte er ihn langsam Schritt um Schritt von den dunklen Gestalten hinweg. »Es tut mir sehr leid, daß Ihr Kind krank ist, ich will kommen und nach ihm sehn. Aber glauben Sie, Gott wird ihm eher helfen, wenn Sie Leben vernichten, statt es zu achten?«
Eriksen besann sich lange.
»Vielleicht haben Sie recht«, sagte er, legte die Hacke hin und ging zum Garten hinaus.
Die anderen schwiegen und machten sich wieder an ihre Arbeit. Die schwarzen Wolken verzogen sich, und nur in weiter Ferne grollte der Donner. Der Abend sank herab, und die Sonne ging glutvoll und leuchtend unter.
Veronika stand lange wortlos da und staunte mit großen Augen ins Licht.
»Onkel Johannes«, sagte sie leise, »mir ist, als ob ich in den roten Wolken eine Burg sehe, mit hohen Türmen und Zinnen.«
Da legte Johannes Wanderer sein Arbeitsgerät beiseite.
»Du siehst das heute zum ersten Male, weil du Leben geschützt hast«, sagte er feierlich. »Behalte das Bild von dieser Burg in deiner Seele, Veronika. Das, was du siehst, ist Montsalvat.«
Veronika faltete unwillkürlich die Hände.
»Ich glaube, ich habe diesen Namen schon einmal gehört«, sagte sie ergriffen.
»Du hast ihn gehört und wirst ihn wieder hören, Veronika.«
Mutzeputz und Zottel saßen reglos. Magister Mützchen hatte den spitzen roten Hut abgenommen, was er sehr selten tat, und der blöde Peter starrte andächtig und hilflos in den Glanz.
»Kannst du es auch sehen, Peter?« flüsterte Veronika.
Der arme Blöde schüttelte traurig den Kopf.
»Ich sehe nichts, aber ich glaube es«, sagte er ergeben, doch es war dieses Mal viel innerer Jammer in seiner Stimme.
Johannes Wanderer neigte sich tief zu ihm hinab.
»Du mußt nicht traurig sein, Peter«, sagte er, »wenn du es nicht sehn kannst. Du glaubst es ja und du mußt denken, Gott läßt dich darum so vieles noch nicht sehen, weil er eine besondere Freude hat an deinem großen Glauben.«
Da ging ein Lächeln über das Gesicht des Blöden, und es war ein unendlicher Friede in ihm.
Noch eine Weile schauten sie in den Glanz der Sonne. Dann sammelten sie still ihr Arbeitsgerät und gingen dem Haus der Schatten zu.
»Onkel Johannes«, sagte Veronika, »ich habe heute gesehn, daß du eine silberne Rüstung trugst, und hinter dir waren noch viele andere. Kommen die
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