Die drei Musketiere
bringen.«
»Nun, lieber Freund,« sagte Athos, »erzähle mir, während er den Wein holt, was aus den übrigen geworden ist. Rede.«
D'Artagnan erzählte ihm, wie er Porthos mit einer Verrenkung im Bett und Aramis an einem Tisch mit zwei Theologen angetroffen habe. Als er mit seiner Mitteilung zu Ende war, erschien der Wirt mit den verlangten Flaschen und einem Schinken, der glücklicherweise außerhalb des Kellers gewesen war. »Es ist gut,« sagte Athos, indem er sein und d'Artagnans Glas anfüllte, »soviel von Porthos und Aramis; doch Ihr, mein Freund, was ist Euch selber zugestoßen?' Ich finde Euch so düster.«
»Ach,« seufzte d'Artagnan, »ich bin wohl der Unglückseligste aller Sterblichen.«
»Du unglücklich, d'Artagnan?« rief Athos, »rede doch, laß hören, wie du unglücklich sein kannst?«
»Später,« entgegnete d'Artagnan.
»Später, warum denn später? weil du glaubst, daß ich berauscht bin, d'Artagnan? Sei überzeugt, ich denke niemals heller, als wenn ich im Wein schwimme. Rede also, ich bin ganz Ohr.« D'Artagnan erzählte sein Abenteuer mit Madame Bonacieux. Athos hörte ihm gelassen zu, und als jener zu Ende war, rief der Musketier: »Das sind Erbärmlichkeiten, nichts als Erbärmlichkeiten!« Das war Athos' Sprichwort:
»Ihr redet nur immer vonErbärmlichkeiten, lieber Athos,« erwiderte d'Artagnan, »das steht Euch übel, der Ihr niemals geliebt habt.« Das tote Auge des Athos flammte plötzlich auf, doch war es nur ein Blitz; es wurde wieder matt und düster wie zuvor.
»Es ist wahr,« sprach er gelassen, »ich habe niemals geliebt.«
»Also seht Ihr wohl ein, Marmorherz,« sagte d'Artagnan, »daß Ihr unrecht habt, wenn Ihr hart gegen uns seid, die wir ein zartes Herz besitzen.«
»Zarte Herzen sind durchlöcherte Herzen,« murmelte Athos.
»Was sprecht Ihr da?«
»Ich sage, die Liebe ist eine Lotterie, wo der Gewinnende den Tod gewinnt. Glaubt mir, lieber d'Artagnan! Ihr seid recht glücklich, wenn Ihr verloren habt. Ich rate Euch, verliert immerhin.«
»Es schien doch, daß sie mich so innig liebte.«
»Es schien so?«
»O, sie hat mich geliebt.«
»Kind, es gibt keinen Menschen, der sich nicht von seiner Schönen geliebt glaubte und der nicht von ihr getäuscht worden wäre.«
»Ausgenommen Euch, Athos, der Ihr nie geliebt habt.«
»Es ist wahr,« versetzte Athos nach kurzem Stillschweigen, »ich habe nie geliebt.– Doch laß uns trinken.«
»Aber da Ihr Philosoph seid,« sagte d'Artagnan, »so belehrt mich und helft mir, ich brauche Eure Weisheit und Euren Trost.«
»Weshalb Trost?«
»Für mein Unglück.«
»Euer Unglück bringt mich zum Lachen,« entgegnete Athos, die Achseln zuckend; »ich möchte wissen, was Ihr sagtet, wenn ich Euch eine Liebesgeschichte mitteilte.«
»Die Euch begegnet ist?«
»Oder einem meiner Freunde, das ist gleichviel.«
»Sprecht Athos, sprecht.«
»Wir wollen trinken, das wird besser sein.«
»Trinkt und erzählet.«
»Nun, das kann auch sein,« versetzte Athos, indem er sein Glas leerte und wieder anfüllte; »beides paßt ganz gut zusammen.«
»Ich höre,« sagte d'Artagnan. Athos sammelte sich, doch je mehr er sich sammelte, desto blässer sah ihn d'Artagnan werden: er kam in die Krisis der Trunkenheit, wo gewöhnlich die Trinker umsinken und einschlummern. Er träumte ganz laut, ohne zu schlafen, und dieser Somnambulismus von Trunkenheit hatte etwas Schreckenvolles.
»Ihr wollt es durchaus?« fragte er.
»Ich bitte Euch,« erwiderte d'Artagnan.
»So soll denn Euer Wunsch geschehen. Einer meiner Freunde– hört mich Wohl, einer meiner Freunde, nicht ich,« sagte Athos, sich mit düsterem Lachen unterbrechend, »einer von den Grafen aus meiner Provinz, nämlich von Berry, und edel wie ein Dandolo oder Montmorency, verliebte sich, fünfundzwanzig Jahre alt, in ein sechzehnjähriges Mädchen, das reizend war wie eine Venus. Durch die Natürlichkeit ihrer Jugend schimmerte ein glühender Geist, kein weiblicher, sondern poetischer Geist, sie gefiel nicht, sie machte trunken. Sie lebte in einem kleinen Flecken bei ihrem Bruder, der Pfarrer war. Beide kamen in diese Landschaft, ohne daß man wußte woher, doch wenn man sah, wie schön sie und wie fromm ihr Bruder war, so dachte man gar nicht daran, zu fragen, woher sie kamen. Außerdemhieß es, sie stammten aus einem guten Hause. Mein Freund, der Gutsherr war, hätte sie nach Belieben verführen oder gewaltsam fortschleppen können, denn er war der Gebieter; und wer hätte
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