Die drei Musketiere
zwei Fremden, zwei Unbekannten Hilfe geleistet? Unglücklicherweise war er ein ehrbarer Mann und heiratete sie. Der Narr, der Schwachkopf, der Esel!«
»Warum das, wenn er sie liebte?« fragte d'Artagnan.
»Wartet nur,« sagte Athos. »Er führte sie in sein Schloß und erhob sie zur ersten Dame der Provinz, und man muß ihr Recht widerfahren lassen, sie behauptete sich vollkommen in ihrem Rang.«
»Nun?« fragte d'Artagnan.
»Nun,« fuhr Athos mit gedämpfter Stimme und schneller fort, »als sie eines Tages mit ihm auf der Jagd war, stürzte sie ohnmächtig vom Pferde; der Graf eilte ihr zu Hilfe, und als sie in ihren Kleidern fast erstickte, so schlitzte er diese mit seinem Weidmesser auf und entblößte ihre Schulter. Erratet, d'Artagnan, was sie auf ihrer Schulter hatte?«
»Kann ich das wissen?« fragte d'Artagnan.
»Eine Lilie,« versetzte Athos, »sie war gebrandmarkt.« Und Athos leerte mit einem Zuge das Glas, das er in der Hand hielt.
»Es ist schrecklich, was Ihr da erzählt,« entgegnete d'Artagnan.
»In der Tat, mein Lieber, der Engel war ein Dämon, das arme Mädchen hatte gestohlen.«
»Und was tat der Graf?«
»Der Graf war ein vornehmer Herr, er hatte in seinem Gebiet die hohe und die niedere Gerichtsbarkeit; er zerriß vollends die Kleider der Gräfin, band ihr die Hände auf den Rücken und hing sie an einem Baum auf.«
»Himmel, Athos, das ist ein Mord!« rief d'Artagnan.
»Ja, ein Mord, weiter nichts,« erwiderte Athos, blaß wie der Tod, »doch mir scheint, daß uns der Wein ausgeht.« Er griff nach dem Halse der letzten noch übrigen Flasche, hielt sie an den Mund und leerte sie, als wäre sie nur ein Glas, mit einem Zuge. Dann senkte er den Kopf in seine beiden Hände, während d'Artagnan stumm vor Schrecken blieb. »Das hat mich von allen Frauen geheilt, von den schönen, von den poetischen und von den verliebten,« sagte Athos, der sich wieder erhob, ohne daran zu denken, die Geschichte des Grafen fortzusetzen. »Gott möge Euch ebensoviel bescheren. Lasset uns trinken.«
»Ist sie also tot?« stammelte d'Artagnan.
»Potz Wetter!« rief Athos. »Doch reicht mir Euer Glas... Schinken, elender Wirt!« schrie er, »wir können nicht mehr trinken.«
»Allein ihr Bruder?« fragte d'Artagnan schüchtern.
»Ihr Bruder?« sprach Athos.
»Ja, der Priester.«
»Hm, ich wollte ihn gleichfalls henken lassen, doch war er mir zuvorgekommen und hatte tags vorher sein Pfarrhaus verlassen.«
»Wußte man, wer der Arme war?«
»Er war der Mitschuldige der Schönen und wird hoffentlich seine Strafe erhalten haben.«
»O, mein Gott!« rief d'Artagnan ganz betäubt vor Schrecken.
»Esset doch von diesem Schinken, d'Artagnan, er ist köstlich,« sprach Athos und legte ihm eine Schnitte auf denTeller.
»Ach, daß nicht einmal vier solche im Keller waren, ich hätte fünfzig Flaschen mehr getrunken.« D'Artagnan konnte dieses Gespräch nicht länger aushalten, es hätte ihm den Kopf verrückt; er ließ den Kopf auf seine Hände niedersinken und tat, als ob er einschlummerte. »Die jungen Leute verstehen nicht mehr zu trinken,« murmelte Athos und blickte ihn mitleidsvoll an, »und doch ist dieser junge Mann hier noch einer von den wackersten.«
Die Rückkehr.
D'Artagnan war durch diese schreckliche Mitteilung des Athos ganz betäubt worden. Indes waren ihm in dieser halben Bekanntmachung noch viele Dinge dunkel geblieben. Fürs erste hatte sie ein völlig Betrunkener einem halb Betrunkenen gemacht; doch ungeachtet der Schwankung, die durch den Dunst von zwei oder drei Flaschen Burgunder in dem Gehirn erzeugt wird, erinnerte sich d'Artagnan doch, als er am folgenden Morgen erwachte, noch an jedes Wort, als hätten sich diese Worte, wie sie vom Munde des einen fielen, im Geiste des andern abgeprägt. All dieser Zweifel erweckte in ihm ein noch glühenderes Verlangen, sich Gewißheit zu verschaffen, und er ging zu seinem Freunde mit dem festen Vorhaben, das Gespräch vom vorigen Tage wieder aufzunehmen; allein er fand Athos schon ganz bei Selbstbewußtsein, das heißt den behutsamsten und undurchdringlichsten Menschen. Übrigens kam der Musketier, nachdem er ein Lächeln und einen Händedruck mit ihm gewechselt hatte, seinem Wunsche selbst entgegen. »Mein lieber d'Artagnan,« sprach er, »ich war gestern derb betrunken, das empfand ich diesen Morgen an meiner schweren Zunge und an meinem noch sehr beflügelten Puls. Ich wette, daß ich tausend Torheiten sprach.« Als er dies sagte, starrte er
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