Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die drei Stigmata des Palmer Eldritch

Die drei Stigmata des Palmer Eldritch

Titel: Die drei Stigmata des Palmer Eldritch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
den Punkt. Wenn man nur lange genug darüber nachdenkt ...«
    »Mensch«, stieß er wütend hervor, »die Katze wiegt fünf Pfund; das ist doch Unsinn. Wenn die Waage fünf Pfund anzeigt, gibt es auch kein Steak.«
    »Denk an Brot und Wein«, sagte Anne ruhig.
    Er starrte sie an. Allmählich schien er zu begreifen.
    »Ja«, sagte sie. »Die Katze ist nicht das Steak. Aber – die Katze könnte eine vorübergehende Manifestation des Steaks sein. Das Schlüsselwort heißt ist. Du kannst doch nicht einfach behaupten, daß die Macht, die von Eldritch Besitz ergriffen hat, Gott ist, dazu weißt du viel zuwenig über ihn; das kann niemand. Trotzdem ist es durchaus möglich, daß das Wesen aus dem Intersystemraum, wie wir, nach Gottes Ebenbild geschaffen ist. Eine Gestalt, die er gewählt hat, um sich uns zu zeigen. Sein und Schein sind zweierlei. Also verschone mich mit deiner Ontologie; und sag nie wieder ist.« Sie bedachte ihn mit einem hoffnungsvollen Lächeln, um zu sehen, ob er verstanden hatte.
    »Eines Tages«, sagte Barney, »werden wir am Fuße dieses Denkmals niederknien und beten.« Nicht zu Ehren Leo Buleros, dachte er, so bewundernswert seine Tat auch war – oder genauer gesagt sein würde –, nicht ihm werden unsere Gebete gelten. Nein, wir als Kultur werden tun, wozu ich insgeheim längst neige: Wir werden es still und bescheiden mit unserer Vorstellung gewaltiger Mächte bekleiden. Und das ist in gewissem Sinne gut so, denn schließlich gibt es diese Mächte. Was jedoch ihr wahres Wesen anbelangt ...
    »Ich sehe schon, du willst allein sein mit deinem Garten«, sagte Anne. »Ich gehe zurück in meine Grube. Viel Glück. Und, Barney ...« Sie streckte den Arm aus, nahm seine Hand und fuhr mit ernster Miene fort: »Du darfst auf keinen Fall zu Kreuze kriechen. Gott – oder welch höherem Wesen auch immer wir begegnet sind – würde das nicht wollen, und selbst wenn, solltest du es nicht tun.« Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuß; dann ging sie davon.
    »Soll ich wirklich weitermachen?« rief Barney ihr nach. »Meinst du, es hat überhaupt einen Sinn, hier einen Garten anzulegen?« Oder werden wir genauso enden wie die anderen?
    »Das darfst du mich nicht fragen. Ich habe davon keine Ahnung.«
    »Das einzige, was dich interessiert, ist deine Seelenrettung«, stieß er wütend hervor.
    »Nein, nicht einmal die interessiert mich noch«, sagte Anne. »Ich bin furchtbar durcheinander, alles hier ist so verwirrend.« Sie ging zu ihm zurück; ihre Augen waren dunkel und verhangen, ohne Licht. »Als du mich gepackt hast, um mir das Chew-Z-Päckchen abzunehmen, weißt du, was ich da gesehen habe? Und das war keine bloße Einbildung, ich habe es tatsächlich gesehen.«
    »Eine künstliche Hand. Eine Ausbuchtung an meinem Kiefer. Und meine Augen ...«
    »Genau«, sagte sie knapp. »Mechanische, geschlitzte Augen. Was hatte das zu bedeuten?«
    »Daß du die absolute Realität gesehen hast«, sagte Barney. »Die Substanz hinter der äußeren Erscheinung.« Bei euch Neo-Christen, dachte er, nennt man das, was du gesehen hast – Stigmata.
    Sie betrachtete ihn eine Zeitlang. »Das also war dein wahres Ich?« sagte sie schließlich und wich vor ihm zurück; ihr Abscheu stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. »Warum bist du nicht, was du scheinst? Du siehst doch jetzt nicht so aus. Ich verstehe das nicht.« Mit zitternder Stimme setzte sie hinzu: »Ich hätte dir den Katzenwitz nicht erzählen dürfen.«
    »In diesem Augenblick«, erwiderte er, »hast du für mich genauso ausgesehen, mein Schatz. Die Finger, mit denen du mich abgewehrt hast, waren definitiv nicht die, mit denen du zur Welt gekommen bist.« Und es könnte jederzeit wieder so geschehen. Die Macht ist mit uns, lauert im verborgenen.
    »Sind wir verflucht?« fragte Anne. »Aus der Bibel wissen wir, daß Gott schon einmal einen Fluch gegen die Menschheit ausgestoßen hat; geht das jetzt alles wieder von vorn los?«
    »Das müßtest du eigentlich am besten wissen; du hast sie doch gesehen. Alle drei Stigmata – die tote Kunsthand, die Jensen-Augen und den extrem verformten Kiefer.« Symbole ihrer Gegenwart, dachte er. In unserer Mitte. Ungebeten. Ohne unser Zutun. Und – wir haben keine vermittelnden Sakramente, mit deren Hilfe wir uns schützen könnten; wir können sie nicht zwingen, durch unsere altehrwürdigen, wohldurchdachten und gewissenhaft vollzogenen Rituale, sich auf Brot und Wein oder Brot und Wasser zu beschränken. Die Realität ist

Weitere Kostenlose Bücher