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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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so jungfräulich rein, als man es nur sein kann, nicht nur unschuldig, sondern auch unwissend, ein Menschenkind, das sich nicht genug verwundern konnte, was andere Leute im Bett für ungereimtes Spiel trieben, kurz, ein junges Ding, das an das Märchen vom Storch und vom Kinderbrunnen glaubte wie ans Evangelium. Sie war wie eine frisch erblühte Blume, leuchtend im Glanz ihrer Schönheit, wie ein Engel, dem nur die Flügel fehlten, um sich unerkannt unter die himmlischen Scharen zu mischen.
    Als sie das arme Haus ihrer gerührten Mutter verließ, um als Braut in die Kathedrale einzuziehen, strömte das Landvolk scharenweise herzu, um die schöne Neuvermählte und auch die schönen Teppiche zu sehen, die man vor ihr her auf dem ganzen Weg über das Pflaster gebreitet hatte, und alle waren einig, daß niemals ein schönerer Fuß den Boden von Touraine berührt, niemals leuchtendere Augen in den Himmel geblickt und niemals die Stadt festlicher mit Blumen und Kränzen geschmückt war. Die Dirnen der Stadt, die von St-Martin und die aus der Vorstadt Chasteauneuf, wurden blaß vor Neid beim Anblick ihrer aschblonden Flechten, mit denen sich die Blancheflor, denn nicht anders war es möglich, einen Grafen eingefangen hatte, und ganz und gar krank wurden sie beim Anblick des golddurchwirkten Brautkleides, der funkelnden Edelsteine aus dem fernen Morgenlande, der blitzenden Diamanten und der schweren goldenen Ketten, womit das Bräutchen nach Kinderart spielte und die sie für immer an den Seneschall banden.

     
    Der alte Kriegsmann an ihrer Seite schien wie verjüngt, er schwitzte sozusagen sein Glück aus allen Poren. Obgleich sein Rücken ungefähr so gerade war wie ein Heidensäbel, stolzierte er doch voll Selbstbewußtsein an der Seite seiner Braut und drückte die Knie durch wie ein Landsknecht bei der Parade, wenn es um den Preis geht. Er hielt sich das Zwerchfell zu beiden Seiten wie einer, der ersticken will an seinem Behagen; und als nun die Glocken läuteten von den Türmen und die ganze Stadt sich hinzudrängte, um den hochzeitlichen Zug zu sehen, wovon später die Greise den Enkeln erzählten, da wünschten die genannten Dirnen, daß es Mohrinnen regnen und Seneschalle hageln und daß doch jeden Tag eine Ägyptianerin getauft werden möchte; aber wie jene die erste, so blieb sie auch die letzte im Lande Touraine, das von Bohemia oder Ägyptia weit abliegt.
    Nach den Trauungsfeierlichkeiten erhielt die Dame von Azay eine beträchtliche Summe, die es ihr ermöglichte, nach der Stadt Acre im Morgenland ihrem Gemahl entgegenzuziehen; aber nicht nur Geld gab ihr der Seneschall, auch mit Kriegsvolk und was man sonst zu einer solchen Reise braucht, rüstete er sie aus. Am Tage der Hochzeit, nachdem sie ihre Tochter dem Grafen übergeben und sie ermahnt hatte, ihm eine fromme Hausfrau zu werden, reiste die gute Mutter beruhigt ab, und erst viel später kam sie mit dem Ritter von Azay zurück; er war aussätzig, sie aber pflegte und heilte ihn trotz aller Gefahr der Ansteckung, was allgemein bewundert wurde.
    Drei Tage hatte das Hochzeitsgelage gedauert zur großen Befriedigung des Volkes, dann führte der gute Ritter sein Bräutchen mit großem Pomp und Gepränge auf sein Schloß La Roche-Corbon, und nach der Sitte der Neuvermählten hielten sie zusammen in feierlicher Zeremonie ein Schaubeilager auf dem neuen Ehebett, über das der Abt von Marmoustiers das Weihwasser sprengte, das Rauchfaß schwang und den Segen sprach. Nach der Feierlichkeit aber, als sich nun der alte Bruyn in dem herrschaftlichen Schlafgemach, das man mit den kostbarsten Tapeten aus grünem Brokat mit goldenen Borten neu ausgeschlagen hatte, gebadet und gesalbt, Seite an Seite sah mit seiner jungen Frau, da küßte er sie zuerst auf die Stirne, dann auf die blütenweiße Rundung der Brust, dort, wo sie ihm erlaubt hatte, das Schloß der goldenen Kette selber zu befestigen. Und dabei blieb's.
    Denn bald merkte jetzt der alte Knickebein, daß er sich zuviel zugetraut, indem er gehofft hatte, das Süpplein, das er sich da eingebrockt, auch ausessen zu können. Amor saß weit weg im Winkel und schmollte, trotz der ausgelassenen Hochzeitsgesänge und frechen Schalksliedern, die unter schallendem Gelächter von der Halle herauftönten, wo Gelage und Tanz die ganze Nacht hindurch dauerten.
    Der Ritter setzte den bräutlichen Stärketrank an seine Lippen, der, wie es die Sitte verlangte, ebenfalls geweiht und gesegnet war und in einem goldenen Pokal vor

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