Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
alten Abt von Marmoustiers begegnete, sagte dieser:
»Ihr habt, scheint es, dem Galgen wieder reiche Dotationen vermacht, daß Ihr so lustig und zufrieden ausseht.«
Und wenn er von seinem Schloß La Roche-Corbon nach der Stadt Tours hineinritt durch die Gassen der Vorstadt von Sankt Symphorion, da sagten die kleinen Gassendirnen unter sich: »Es muß heut Gerichtstag sein, da kommt der edle Herr Bruyn«, und ohne Furcht sahen sie ihm nach, wie er auf seinem weißen Zelter, den er von der Levante mitgebracht, langsam und gemütlich dahinritt. Auf der Flußbrücke unterbrachen die Knaben ihr Klickerspiel und riefen freimütig: »Guten Tag, Herr Seneschall.«
Und er antwortete: »Spielt weiter, meine Kinder, spielt weiter, um so besser werden euch nachher die Prügel schmecken.« »Au weh, Herr Seneschall!« riefen die Buben und lachten.
So schaltete Bruyn als gnädiger Herr und säuberte derart das Land von Spitzbuben und Diebsgesindel, daß man im Winter nach der großen Überschwemmung nur noch zweiundzwanzig Gehängte zählte, abgesehen von einem Juden, der verbrannt wurde, weil er in der Gemeinde Chasteauneuf eine Hostie gestohlen oder, wie andre sagen, gekauft hatte, da er ein sehr reicher Mann war.
Nun geschah es im darauffolgenden Jahr, ungefähr um Sankt Johann den Täufer oder Sankt Johann den Grasmäher, wie die Bauern hierzulande sagen, da kam eines Tages eine Truppe seltsames Volk in der Stadt an. Ägyptianer oder Bohemianer sagten die einen, Zigeuner oder Mahomedisten meinten die andern, kurz, ein Haufen fremden Raubgesindels, das im Münster von Saint-Martin nicht nur eine Anzahl heiliger Gegenstände entwendete, sondern auch an Stelle eines Bildnisses Unsrer Lieben Frau, um in schnöder Weise unsern heiligen Glauben zu verspotten, ein wunderhübsches Mädchen in der Mauernische zurückließ, eine Art weiblichen Seiltänzer und Scheuerpurzler, fasernackt, ein freches Ding und nicht älter an Jahren wie ein alter Hund.
Über diese unerhörte Schandtat war jedermann aufs äußerste ergrimmt, und die Leute des Königs wie die der Kirche waren darüber einig, daß die Mohrin für die andern bezahlen solle, also daß man festsetzte, das nackte Tierlein lebendig zu braten, zu welchem Zweck und Ende man auf dem viereckigen Platz vor Saint-Martin nahe bei dem Brunnen, wo der Gemüsemarkt abgehalten wurde, einen mächtigen Holzstoß auftürmte.
Bei dieser Gelegenheit nun zeigte Bruyn, der Seneschall, daß er weiter dachte als alle andern, indem er dartat, was man für einen großen Gefallen Gott erweisen könne, wenn man die schwarze afrikanische Seele für die wahre Religion gewönne. »Wenn aber der Teufel, der diesen weiblichen Körper bewohnt«, so schloß er seine Rede, »etwa den Hartnäckigen spielen sollte, wäre der Holzstoß immer noch da, um ihm Gelegenheit zu geben, seinen dummen Eigensinn zu bereuen.«
Das fand der Erzbischof weise gedacht und mit dem kanonischen Recht, den Geboten der christlichen Liebe und den Lehren des Evangeliums vollständig in Übereinstimmung.
Die Damen der Stadt jedoch und andre Leute von Autorität und Ansehen erhoben lauten Widerspruch dagegen, daß man sie um eine so schöne Zeremonie betrügen wolle (als die des Verbrennens nämlich). Denn die Mohrin weinte in ihrem Kerkerloch und stieß jammernde Schreie aus wie ein gebundenes Zicklein; da war also nicht zu zweifeln, daß sie das Wasser dem Feuer vorziehen und sich mit Vergnügen bekehren werde, um ihr Leben zu retten und ihre Tage zu verlängern wie die eines Raben, wenn es möglich wäre. Darauf aber erwiderte der Seneschall, daß die Bekehrung der Heidin zur heiligen christlichen Religion ja noch eine viel lustigere Zeremonie sei und daß er sich anheischig mache, der Stadt Tours ein wahrhaft königliches Fest zu geben; er selber wolle als Taufpate zu Gevatter stehen, und seine Mitgevatterin solle eine Jungfrau sein, um Gott eine besondere Freude zu machen, weil er doch selber ein alter Hagestolz oder Stolzhaken sei.
Denn so nennt man bei uns zu Lande die Männer, die nicht verheiratet sind oder doch dafür gelten, um sie von den Ehemännern und Witwern zu unterscheiden; aber die Weiblein würden sie auch ohne Gattungsbenennung unter den Ehekrüppeln leicht herausfinden.
Das schöne Mohrenkind schwankte nicht lange zwischen den Flammen des Scheiterhaufens und dem Wasser der Taufe. Diese Wahl war für sie keine Qual, sie wollte tausendmal lieber eine lebendige Christin als eine
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