Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
zufällig auf den Kopf anstatt auf die Beine zu stehen, und weil er solche Turnübungen nicht gewöhnt war, scharrte er unwillkürlich mit seinen Stiefeln an den Wänden.
»Der arme Schrank«, sagte die Frau, »er kracht in allen Fugen.«
»Es tut ihm weh, daß er weggetragen wird«, sprach der Mann, »er hatte sich so an Euch gewöhnt.«
Ohne weiteren Widerspruch ließ sich der Schrank die Stiege hinuntergleiten.
»Holla, Mann mit dem Karren!« rief drunten der Goldschmied. Und Stoffel, von den Gesellen und Lehrbuben unterstützt, machte sich daran, den Schrank aufzuladen.
»Autsch, autsch!« rief drinnen der vom Hofgericht.
»Meister, der Schrank spricht!« rief ganz erschrocken ein Lehrbub.
»Französisch oder spanisch?« fragte der Meister und gab dem Buben einen Tritt vor den dünnen Hintern, der zum Glück nicht von Glas war. Denn es ist immer von Übel, wenn einer behauptet, das Gras wachsen zu hören; und der wollte nun gar einen Schrank sprechen hören!
Dann führte der Stoffel, vom Goldschmied unterstützt, den Schrank zum Flußufer hinunter, ohne auf die laute Beredsamkeit des verhexten Holzes im geringsten achtzugeben.
Am Ufer beschwerten sie den Schrank mit mächtigen Steinen und warfen ihn ins Wasser.
»Schwimme, mein Freund, schwimme!« rief Stoffel und klatschte in die Hände, während der Schrank sich drehte und dann untertauchte.
Nachdem dieses Geschäft glücklich beendigt war, machte sich der Stoffel auf nach der Rue du port Saint-Landry, nahe bei Notre-Dame. Er suchte dort nach einem gewissen Hause, erkannte es auch alsbald und fing an, heftig an die Tür zu pochen.
»Öffnet«,rief er, »im Namen des Königs, öffnet!«
Auf sein Rufen hin erschien unter der Tür ein weißbärtiger Greis, der niemand anders war als der berühmte Wucherer Versoris.
»Mich schickt der Profos«, sagte der Stoffel, »er läßt Euch auffordern, diese Nacht wohl auf Eurer Hut zu sein. Er wird selber das Seinige tun. Der Bucklige, der Euch bestohlen hat, ist wieder in der Nachbarschaft gesehen worden. Darum also, wenn Euch Euer Geld lieb ist, haltet Euch wach und in Waffen.«
Nach diesen Worten machte sich der Stoffel davon. Er eilte nun nach der Rue des Marmougets, wo der Hauptmann Schweinsleder sich gerade ein Fest gab mit der kleinen Pasquerette, dem schönsten und begehrtesten Mädchen dieser Art in ihrem Viertel. Nicht einmal ihresgleichen machte ihr diesen Ruhm streitig. Sie wußte Blicke zu werfen, die wie Dolche trafen, und wie keine verstand sie die Kunst, saftige Schweinereien als Leckerbissen einzumachen und um harte Taler loszuschlagen. Und was für Schweinigeleien! Verwegen war sie und schamlos wie nur ein Weib, das keine andere Tugend mehr hat als die Frechheit. Der gute Stoffel hatte nur eine Sorge: er könne entweder das Haus der Pasquerette nicht finden, oder das liebliche Paar möchte nicht mehr wach sein, wenn er ankam. Aber ein guter Engel fügte alles nach seinem Wunsch. Als er in die Rue des Marmougets einbog, sah er alle Fenster beleuchtet, und überall streckten sich Köpfe heraus mit Nachtmützen und Nachthauben, Männer und Weiber, alte und junge, wie sie aus dem Bett gesprungen waren; man hätte glauben können, es solle bei Fackelschein ein Dieb gehängt oder sonst ein Missetäter hingerichtet werden.
»Was ist denn los?« fragte der Stoffel einen Bürger, der mit einer Hellebarde herunter an seine Tür geeilt war.
»Oh, nichts«, antwortete der gute Mann, »wir glaubten schon, die Armagnaken seien in der Stadt eingebrochen, aber es ist nur der Schweinsleder, der die Pasquerette durchbleut.«
»Wo?« fragte der Stoffel.
»Dort drüben in dem schönen Hause, wo Ihr über der Tür die Kröten gemeißelt seht. Hört Ihr das Geschrei der Hausknechte und Kammerzofen?«
Aus dem Hause drang ein gräßliches Geheul und Mordiogeschrei. Man hörte die Schläge niedersausen, und Hundsaffe mit seiner fetten Stimme schrie: »Du mußt hin sein, du Luder! Was, du machst die Widerspenstige, und Geld willst du von mir? Da hast du!« Und dann hörte man die Pasquerette stöhnen. Alles zog sich zurück, die Lichter erloschen.
»Hilfe, Hilfe!« rief sie, »er bringt mich um.« Dann ein letzter schwerer Schlag, dann das dumpfe Hinstürzen eines weichen Körpers, dann plötzliche Stille.
Stoffel stieg mit dem Hausgesinde die Stiege hinauf. Droben vor dem Saal machte er halt. Da war ein Durcheinander von zerbrochenen Flaschen, zerrissenen Tapeten, das ganze beschmutzte Tischtuch mit allen
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