Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
Skribifaxe haben uns diesen guten König als einen bigotten Duckmäuser
und Kopfhänger geschildert, ihr Geschrei ist erstunken und erlogen. Der König war seinen Freunden ein guter Freund, er war ein Spaßvogel und Lacher wie nur einer seines Königreichs. Er war es, der in guten Stunden gern zu sagen pflegte, vier köstliche Dinge gäbe es im Leben: »Frisch trinken, warm scheißen, Hartes eingeben und Weiches schlucken.« Einige haben ihm den Vorwurf gemacht, daß er sich gern mit lasterhaften Weibern eingelassen. Aber auch das ist erlogen, da ja jedermann weiß, daß seine Töchter der Liebe, deren eine legitim gemacht wurde, aus hochangesehenen Familien stammten und große Häuser gegründet haben. Er haßte freilich allen Flitterkram und alles verschwenderische und prahlerische Getue. Auf den Schein und die Außenseite gab er keinen Dreck. Haushälterisch war er wie einer, den Leuteschindern, Volksaussaugern und sonstigen Blutegeln gab er auch kein Bröselchen zu verdienen. Sie haben ihn darum gehaßt und verleumdet. Aber die wahren Gelehrten und Liebhaber der Wahrheit wissen, daß der genannte König in seinem Privatleben ein guter und charmanter Kerl war, und niemals hat er einen seiner Freunde den Kopf abschlagen lassen, womit er dennoch nicht knickerig umging, als wenn er schmählich von einem betrogen worden; seine Rache war immer gerecht. Nur in einem Fall, den Meister Verville erzählt, hatte sich
der würdige König geirrt; aber einmal ist keinmal, und außerdem trifft die Schuld mehr den Tristan, seinen Gevatter, als den König selbst. Wenn ihr wollt, erzähle ich euch die Geschichte, wie sie Meister Verville berichtet hat, den ich im Verdacht habe, daß er sich einen Spaß damit machen wollte. Ich mag aber die Sache ganz gern erzählen, weil niemand das ausgezeichnete Werk meines geschätzten Landsmanns kennt. Doch ich kürze und gebe nur die Quintessenz, das Drum und Dran ist ein bißchen weitschweifig, wie die Gelehrten wissen:
›Ludwig der Elfte hatte die Abtei Turpenay (wovon in der »Schönen Imperia« die Rede war) einem Edelmann verliehen, der die Einkünfte bezog und sich einen Herrn von Turpenay nannte. Nun geschah es, daß der König zu Schloß Plessis-les-Tours hofhielt, wo dann eines Tags der wahre Abt, ein Mönch, sich an den König herandrängte und ihm vorstellte, daß er es sei, der nach kanonistischem und monachistischem, auch monarchistischem Recht sich Abt von Turpenay nenne, jener Edelmann aber wäre ein Usurpator und Kirchenräuber. Das möge Seine Majestät allergnädigst einsehen und dem wahren Abt und Hirten von Turpenay zu seinem Recht verhelfen. Der König, wie es seine Gewohnheit war, schüttelte seine Perücke und versprach dem Mönch, daß er ihn zufriedenstellen wolle. Dieser aber war ein aufdringlicher und lästiger Geselle, wie alle Esel es werden, wenn man sie in eine Kutte steckt, und stand nun Tag für Tag unter der Tür des Saals, wo der König speiste, und reichte Seiner Majestät das Weihwasser nach der Mahlzeit. Diese Zudringlichkeit ärgerte den König, und am dritten Tag winkte er seinem Gevatter Tristan. – ›Gevatter‹, sagte er, ›hier treibt sich einer von Turpenay herum, ein flegelhafter Zudringling, schaff ihn mir aus der Welt.‹ Ob nun der brave Tristan eine Kutte für den Mönch oder den Mönch für eine Kutte nahm, kurz, er ging hin zu dem Edelmann, den man am ganzen Hof den Herrn von Turpenay nannte, nahm ihn ein wenig auf die Seite und erklärte ihm, daß er sterben müsse, um dem König ein Vergnügen zu machen. Alles Sträuben und flehentliche Bitten nützte dem Armen nichts, er wurde zwischen Hals und Schultern mit einem hänfenen Strick so gekitzelt, daß er sich wahr und wahrhaftig zu Tode lachte, und eine Stunde später konnte Tristan dem König melden, daß der Turpenayer nach den Auen der Seligen abgereist sei. Aber fünf Tage danach, als welcher der Tag ist, an dem die Toten als Gespenster wiederkommen, sah plötzlich der König den widerwärtigen Mönch in seinem Saal. So etwas war ihm noch nicht vorgekommen. Er ruft den Gevatter und flüstert ihm ins Ohr: ›Ihr habt meinen Befehl nicht ausgeführt?‹ – ›Verzeiht, Majestät, ich habe ihn ausgeführt, der von Turpenay ist tot.‹ – ›Ei, Gevatter, ich hatte den Mönch gemeint.‹ – ›Ich habe den Edelmann verstanden.‹ – ›Es ist also geschehen?‹ – Ja, Majestät.‹ – ›So ist es gut.‹ Und sich zu dem Mönch wendend: ›Komm her, Pfäfflein!
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