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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Schnell, wie wenn er ein gemeiner Ausüber seiner Profession gewesen wäre, erhob sich der Hofbarbier und gewann, ehe ihm ein anderer zuvorkommen konnte, die Tür. Er ließ seinem Sphinkter schon jetzt die Zügel ein wenig locker, und indem er eine Melodie zwischen den Zähnen summte, eilte er nach dem hochnotpeinlichen Gerichtsstuhl. Aber es erging ihm nicht anders als dem Kardinal.

     
    Er richtete an die Adresse dieser ewigen Scheißerin ein kurzes Gemurmel von Entschuldigungen, und so hastig, wie er das ersehnte Pförtlein geöffnet hatte, schloß er es wieder und erschien, ohne abgeladen zu haben, vor dem König.
    So einer nach dem andern. Aber nicht lange, so waren sie alle wieder um den König herum, und jeder wußte vom andern nur zu gut, wo ihn der Schuh drückte. Sie verstanden einander sozusagen besser in dem, was ihnen vom After, als was ihnen vom Munde ging. Denn in der Sprache dieser natürlichen Dinge gibt es keine Zweideutigkeiten. In ihr kommt ein ganz allgemein verständlicher Rationalismus zum Ausdruck und eine Wissenschaft, die wir alle schon mit auf die Welt bringen.

     
    »Mir scheint«, sagte der Kardinal, »daß diese Dame kacken will bis morgen früh. Was ist denn der Nicole nur eingefallen, eine solche Diarrhöetikerin einzuladen.«
    »Über eine Stunde drückt sie nun schon daran herum, wozu mir eine halbe Sekunde genügen sollte«, antwortete Meister Olivier. »Daß sie doch die Pestilenz kriegte!« Man müßte sie gesehen haben, wie kläglich sie aussahen, wie sie sich nicht am Platze halten konnten, wie sie von einem Fuß auf den andern trippelten, die Zähne aufeinanderbissen, daß ihnen das Wasser aus den Augen rann, wie sie jetzt erblaßten, jetzt einen roten oder blauen Kopf bekamen, wie sie hörbar aufatmeten, als die verwünschte Dame endlich im Saal erschien. Oh, wie sie sie schön fanden und ganz holdselig. Sie hätten sie küssen mögen, küssen dort, wo sie's so brannte. Nie in ihrem Leben hatten sie so beglückt den Eintritt des Tages begrüßt wie den Eintritt dieser Befreierin aus der höchsten Not.
    Unverzüglich erhob sich der Kardinal. Die andern standen bescheiden zurück und faßten sich in Geduld. Dem Klerus gehört der Vortritt. Ihre Grimassen wurden aber immer fürchterlicher, worüber der König sich im geheimen höllisch freute und nicht weniger die Beaupertuys, in deren Kopf alles entsprungen war. Der schottische Hauptmann, der von dem gepulverten Gericht am meisten gegessen hatte, konnte nicht mehr an sich halten; kein Zähneaufeinanderbeißen half mehr, er dachte also, der Gescheitste gibt nach, oder vielmehr, er dachte gar nichts, es entfuhr ihm einfach. Er hatte gehofft, es werde nur ein leiser Wind sein. Aber nein, in seiner ganzen Pracht und Fülle entfuhr's ihm, und er hatte nur noch die Hoffnung, daß das Zeug wenigstens so anständig sein werde, in der Gegenwart des Königs nicht zu stinken.
    In diesem Augenblick erschien, fürchterlich zugerichtet in seinem Aussehen, auch der Kardinal wieder im Saal. Er hatte draußen Nicole auf dem Posten gefunden, und nun stand sie auch hier vor ihm. Er glaubte ein Gespenst zu sehen in seiner Qual, und ein verzweifelter Fluch entfuhr ihm.
    »Was soll das?« fragte der König mit einem Blick, daß der Priester in den Boden sinken zu müssen glaubte. Doch gibt ein Pfaff seine Sache nicht so schnell verloren.
    »Majestät«, antwortete La Balue, »die Dinge des Jenseits gehören zu meinem Amt, und da muß ich Euch sagen, daß es in diesem Haus, wie mir scheint, nicht mit rechten Dingen zugeht.«
    »Willst du deinen König zum Narren haben?« schrie Ludwig der Elfte. Seine Stimme nahm einen Ton an, daß die ganze Gesellschaft nun schon aus Angst in die Hosen machte.
    »Ihr vergeßt den Respekt vor der königlichen Majestät!« rief der König in so gut gespieltem Zorn, daß sie erbleichten. Zugleich öffnete er ein Fenster: »Holla, Gevatter Tristan!«
    In wenigen Minuten stand er im Saal, der Oberhofscharfrichter Seiner Majestät. Und da es lauter Lumpenkerle waren, denen nur die Sonne der königlichen Gunst den Schein von etwas gab, so genügte auch der leiseste Wink des Königs, wenn ihn der Zorn ankam, um sie ins Nichts zurückzuschleudern; das wußten sie wohl, und mit Ausnahme des Kardinals, der sich auf sein geistliches Gewand verließ, standen sie da wie der Dieb vor dem Galgen.
    »Führe die Herren zum Hofgericht ab«, sprach der König, »zum Hofgericht am Maifeld. Sie haben alle die Hosen voll ...«
    »Nun,

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