Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
Speisekämmerlein, um sich selber ihr Essen aufzutragen, setzt sich mit einem Seufzer hin und ißt und trinkt in der traurigen Gesellschaft ihrer vier Wände. Und nachdem sie gegessen und getrunken, läßt sie ein Fürzlein hören, nicht ahnend, daß es ein König vernehmen würde.
»Was meint Ihr«, sagte Ludwig der Elfte zu Nicole, »wenn ihr der Gehängte plötzlich ein ›Wohl bekomm's!‹ zuriefe?« Über diese Bemerkung wären beide fast in lautes Lachen herausgeplatzt.
Und besonders aufmerksam sah der allerchristlichste König zu, wie das alte Mädchen nun anfing, sich zu entkleiden, indem es sich selbst bewunderte und sich da und dort kratzte, wo sie's juckte, wie es sich die Zähne putzte und ein Geschäft nach dem andern abmachte, dem die Damen nun einmal unterworfen sind, die Jungfrauen und die andern, was ihnen ein so großes Leidwesen ist. Aber ohne solche kleine Schwächen der Natur wären sie allzu stolz und gar nicht mehr zu haben.
Endlich war die Godegrand soweit, die musikalische Zwiesprache mit ihrem Töpfchen zu Ende ...
»Gebt acht«, sagte Nicole, »jetzt deckt sie das Bett auf.«
In diesem Augenblick hörte man einen Schrei. Mit einem Sprung war sie wieder aus dem Bett. Sie dachte aber nicht, daß es ein Toter sei, sondern meinte, er stelle sich nur so.
»Das ist mir ein übler Spaß«, sagte sie; »wollt Ihr Euch nun gleich davonmachen oder nicht!« Ihre Worte klangen mehr bittend als bös. Als sie aber sah, daß sich nichts rührte, untersuchte sie die Bescherung etwas näher, voll Erstaunen und Verwunderung über die strotzende Fülle männlicher Herrlichkeit. Endlich erkannte sie den gehängten Bürgerssohn. Sofort kam ihr der Gedanke, ob hier nicht Rettung möglich. Und begann mit sachkennerischen Manipulationen und Experimenten ihr möglichstes zu tun.
»Was macht sie denn?« fragte der König Nicole.
»Sie macht Wiederbelebungsversuche an ihm, das ist ein Werk der christlichen Barmherzigkeit.«
Und die Godegrand rieb und klopfte an dem schönen Toten herum und flehte zur heiligen Maria von Ägypten, daß sie ihr doch behilflich sein möge, den Mann wieder lebendig zu machen, der ihr so unerwartet und ganz verliebt vom Himmel herunter ins Bett gefallen war. In der Tat gelang es ihr, den Körper ein wenig zu erwärmen, schon schien es, als ob er die Augen aufschlagen wolle, sie legte ihre Hand auf sein Herz, und sie fühlte wahrhaftig ein leises Pochen. Sie verdoppelte nun ihre Anstrengungen, entwickelte einen solchen Feuereifer, dessen nur die ewig unterdrückte Liebesglut eines alten
170 Mädchens fähig ist, und hatte die unaussprechliche Freude, den schönen Mann, mit dem der Henker offenbar kein Meisterstück gemacht, ins Leben zurückzubringen.
»Da seht Ihr, wie ich bedient werde«, sagte der König lachend.
»Ich hoffe, Ihr werdet ihn nicht zum zweiten Male hängen lassen«, erwiderte Nicole, »der Mann ist gar zu schön.«
»Das Urteil lautet nicht, daß er zweimal gehängt werden soll, aber, bei Gott! dafür soll er die Godegrand heiraten.«
Die alte Jungfer war unterdessen fortgesprungen, um einen Bader herbeizurufen, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als nach seiner Lanzette zu greifen.
»Es ist zu spät«, sagte er kopfschüttelnd, »Ihr seht, nicht ein Tropfen. Die Transfusion des Blutes nach den Lungen hat sich bereits vollzogen.«
Doch was war das? Da sickerte ein kleines winziges Tröpfchen, und da noch eines, dann Tropfen auf Tropfen, und schon rötete das junge Blut die Tücher. Der Gehängte kam von seiner apoplektischen Erstarrung, die noch im Anfangsstadium war, zurück, er begann sich zu bewegen und schlug die Augen auf ... doch nur, um sie sofort wieder zu schließen und nach dem Gesetz der Natur in Erschlaffung und Erschöpftheit zurückzusinken. Die krampfhafte Spannung aller Muskeln und Nerven ließ nach, und die strotzende Fülle der männlichen Pracht sank in sich zusammen. Die gute alte Jungfer, die mit ängstlich aufmerksamen Bücken all diese Vorgänge und Verwandlungen verfolgt hatte, zog den Chirurgen am Ärmel, und indem sie ihn mit einer schämigen Augenverdrehung auf vorliegenden Vorfall und Verfall aufmerksam machte, fragte sie:
»Wird er nun immer so bleiben?«
»Die meiste Zeit«, antwortete der wahrhaftige Chirurgus.
»Wie schade, da war er mir gehängt fast lieber ...«
Bei diesen Worten brach der König in lautes Lachen aus, worüber das arme Mädchen und der Bader nicht wenig erschraken. Sie gewahrten durch das Fenster
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