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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Jagdknappe wohnte, der Pillegrain, dem neulich der wütige Eber den Bauch aufgeschlitzt hat?«
    »Ich sehe es«, antwortete die Alte.
    »Gut, Ihr sollt darin wohnen bis an das Ende Eurer Tage.«
    »Oh, du guter Gott«, rief da die Alte, indem ihr die Spindel entfiel, »ist es auch die Wahrheit, was Ihr sagt?«
    »Bei meinem Ritterwort.«
    »Und was für einen Lohn soll meine Tochter bekommen?«
    »Soviel sie in meinem Dienst nur verdienen will«, erwiderte der Schloßherr.
    »Gnädiger Herr, Ihr scherzt.«
    »Nein«, sagte er.
    »Doch, hoher Herr.«
    »Bei Sankt Gatian und beim heiligen Eleutherius und bei den tausend Millionen der andern Heiligen, die da droben herumwimmeln mögen, schwöre ich Euch, daß ...«
    »Wenn Ihr also wirklich nicht mit einer armen Frau Euren Scherz treibt«, sprach die vorsichtige Mutter, »so hätte ich nur noch den Wunsch, daß all Eure schönen Sachen dem Notar einen kleinen Besuch machten.«
    »Aber bei dem Blut Christi und bei dem viel süßeren Eurer Tochter, bin ich Euch nicht Edelmann genug, ist mein Wort nicht soviel wert wie ein Tintenklecks?«
    »Behüt mich Gott, so was zu behaupten; aber seht, ich bin eine arme alte Spinnerin, und es fällt mir hart, meine Tochter von mir zu lassen. Sie ist noch so jung und zart, sie könnte sich in Eurem Dienst einen Schaden zufügen. Noch gestern sagte der Herr Pfarrer in seiner Predigt, daß wir für unsre Kinder verantwortlich sind vor dem Richterstuhl Gottes.«
    »Na, na«, machte der Schloßherr, »geht denn in Teufels Namen und holt den Notar.«
    Ein alter Holzhacker von nebenan humpelte also zu dem Kontraktenmacher, der alsbald ankam und in aller Form, Paragraph für Paragraph, ein Schriftstück aufsetzte, unter das der edle Herr von Valesnes ein Kreuz malte, da das Schreiben nicht seines Amtes war.
    Als dies geschehen, sagte er: »Nun, Mutter, seid Ihr jetzt Gott keine Rechenschaft mehr schuldig für die Jungfernschaft Eurer Tochter?«
    »Oh, gnädiger Herr«, antwortete sie, »der Pfarrer hat gesagt, solange die Kinder selber noch unvernünftig sind. Meine Tochter aber ist sehr vernünftig.«
    Und dann zu ihrer Tochter sich wendend, sagte sie: »Marie Ficquet, dein einziges Gut ist deine Ehre; wo du nun aber hingehst, wird männiglich – unser guter gnädiger Herr ausgenommen – drauf ausgehn, sie dir zu rauben. Aber du weißt nun, was sie wert ist ... also gib sie nur hin nach reiflicher Überlegung. Und damit deine Tugend keinen Schaden nehme vor Gott und den Menschen (außer unter dem Schutz des Gesetzes), habe wohl acht, zur rechten Zeit für den Streusand auf deinem Heiratsvertrag zu sorgen, oder du wirst schlecht fahren in der Welt.«

     
    »Ja, Mutter«, sagte die Jungfrau.
    Und so zog sie aus der elenden Hütte ihrer Eltern und kam auf das Schloß von Valesnes, um dort der Dame zu dienen, die wohl mit ihr zufrieden war.
    Als nun das gemeine Volk von Valesnes, Sacché, Villaines und andern Orten von dem hohen Preis hörte, den der Schloßherr für die Jungfernschaft des Mädchens von Thilhouze bezahlt hatte, da schlugen die guten Hausfrauen die Hände über dem Kopf zusammen, mußten zugeben, daß die Tugend doch das Einträglichste ist auf dieser Welt, und nahmen sich vor, die Jungfernschaften ihrer Töchter von nun an besser zu behüten und zu bewahren als ihren Augapfel; aber das war eine so unsichere Spekulation wie die auf Seidenwürmer, als welches Viecherchen sind, die krepieren, ehe man sich's versieht. Und so sind Jungfernschaften eine Frucht, die gleich den Mispeln im Stroh nur allzuschnell morsch und mürbe werden. Trotzdem fanden sich, und für unser Tourainer Land will das was heißen, einige Töchter, die in allen Nonnenklöstern für Jungfrauen gehalten wurden; nur möchte ich für den Tatbestand nicht Bürge sein, da ich die Methode, die Meister Verville lehrt, über die vollkommene Tugend junger Mädchen Gewißheit zu erlangen, nicht an ihnen erprobt habe.

     
    Die hübsche Marie Ficquet ließ sich übrigens die weisen Lehren ihrer Mutter gesagt sein und wollte von den Honigworten und dem zuckrigen Schönbartspiel ihres Herrn und Beschützers, ohne daß eine Notarfeder einen Klecks dazu gemacht hätte, nichts hören und wissen.
    Wenn der alte Herr Miene machte, ihr das Kinn zu krauen, wurde sie gleich wild und fauchte wie eine Katze, der ein Hund schöntun will. Immer rief sie: »Ich werde es der Gnädigen sagen«, und nach Verlauf von einem halben Jahr hatte der gute Mann von seiner Dotation noch nicht

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