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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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wünschen möchte in der Hochzeitsnacht, wenn ihr nicht etwa mit der Philosophie der Stoiker großgenährt seid, kraft deren man sich über nichts mehr verwundert. Viele aber sind gezwungen, in so vertrackter Lage den Stoiker wenigstens zu spielen; denn immer wieder kommen solche Lagen vor, sintemal die Natur bei allen ihren kapriziösen Veränderungen immer die gleiche bleibt, also daß, wenigstens in unserm Tourainer Land, die Jungfrauen von Thilhouze wohl nie aussterben werden.
    Und wenn ihr mich nun fragt, wo etwa in dieser Geschichte eine Moral zum Vorschein kommen möchte und worin sie besteht, so könnt ich allenfalls den Damen antworten, daß dieses mein Buch den Zweck hat zu lehren, wie man gut tut, im Vergnügen eine Moral, aber nicht im Moralisieren ein Vergnügen zu finden. Sollte aber etwa so ein alter Kracher und Knickebein mich danach fragen, so würde ich ihm mit aller Schonung, die seiner gelben oder grauen Perücke gebührt, antworten, daß der liebe Gott den Herrn von Valesnes strafen wollte, weil er so dumm war, ein Ding zu kaufen , das doch, wenn überhaupt käuflich, wahrlich keine schimmelige Bohne wert ist.

Der Waffenbruder

     
    Im Anfang der Regierung des Königs Henricus secundus, desselben, der so sehr die schöne Diana von Poitiers liebte, war noch ein alter Brauch in Übung, der sich nach und nach immer mehr verloren hat und heute ganz verschwunden ist, wie viele andre schätzenswerte Sitten und Gebräuche aus der guten alten Zeit: ich meine die Wahl eines Waffenbruders, die in jenen Tagen jeder ehrliche Ritter pflegte. Und also war es damit beschaffen: Zwei junge Männer, die sich einmal als tapfer und redlich erprobt hatten, betrachteten sich gleichsam wie miteinander verheiratet ihr Leben lang. Sie wurden Brüder. Ein jeder hatte die Pflicht, den andern zu verteidigen, sei es gegen seine Feinde, die ihn in der Schlacht bedrängten, sei es gegen seine Freunde, die ihm bei Hof durch üble Nachreden Schaden brachten. Wenn in Abwesenheit des einen ein Böswilliger ihm Unredlichkeit, Treulosigkeit oder sonst eine Schlechtigkeit nachsagte, hatte der andere die Pflicht, dem zu sagen: ›Das lügst du in deine Gurgel hinein‹ und mit ihm auf den Rasen hinauszugehen und durch die Tugend seines Schwertes die Redlichkeit, Treue und ehrliche Ritterschaft seines Bruders zu beweisen.
    Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß der eine immer der Beistand und Sekundant des andern war in jeder Sache, ob sie gut oder schlimm sein mochte, und daß sie Glück und Unglück getreulich miteinander teilten. Sie fühlten sich enger verbunden als leibliche Brüder, die nur Brüder sind durch eine Laune der Natur; die Waffenbrüder aber verband ein heiliges und unverbrüchliches Gesetz. Auch gibt es ganz bewunderungswürdige Exempel von Waffenbrüderschaften, die hinter den berühmten Beispielen bei den Griechen, Römern und andern Völkern nicht zurückstehen. Aber davon zu erzählen ist nicht meine Sache; unsre Chronisten und Historienschreiber, die jedermann kennt, haben das längst getan.
    Es war also zu jener Zeit, da schlossen zwei junge Männer aus dem Tourainer Land miteinander Waffenbrüderschaft an demselben Tag, wo beide ihre Sporen erhielten; der eine war der Junker von Maillé, der andre ein Herr von Lavallière. Beide waren als Pagen am Hofhalt des Herrn von Montmorency aufgewachsen und hatten in der Schule dieses berühmten Feldhauptmanns die besten ritterlichen Sitten und Tugenden gelernt. Wie nun in so guter Gesellschaft Tugend und Tapferkeit quasi ansteckend sind, das haben die beiden Jünglinge in der Schlacht von Ravenna gezeigt, wo sie von den ältesten Rittern mit Lob überschüttet wurden.

     
    An diesem heißen Tage war es gewesen, wo der genannte Maillé von dem Herrn von Lavallière, mit dem er verschiedene Händel ausgefochten hatte, aus höchster Lebensgefahr errettet wurde, wodurch er von der Ritterlichkeit des genannten Lavallière den höchsten Begriff bekam. Da beide nicht ohne Wunden davongekommen waren, tauften sie ihre Brüderschaft, mit ihrem Blute, und unter dem Zelt des Herrn von Montmorency, ihres Patrons, wurden sie in ein und demselben Bett gepflegt.
    Es ist aber hier zu sagen, daß der junge Maillé, ganz entgegen dem Herkommen in seiner Familie, wo die Menschen immer schön und wohlgeraten waren, eine wenig einschmeichelnde Physiognomie und höchstens das besaß, was man im gallischen Land eine ›beauté du diable‹ nennt. Im übrigen jedoch war er schlank wie

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