Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
leben, als wenn ich leiblich lebte.«
Von dieser Rede des tapfern Mannes wurde die Gräfin bis ins Herz hinein getroffen. Zugleich fühlte sie sich in ihrer weiblichen Eitelkeit aufs höchste verletzt, daß der junge Mann in den Tod gehen wollte, ohne ihrer auch nur zu begehren. Mit einer Gebärde, die Schmerz und Verlangen ausdrückte, streckte sie ihm die Arme entgegen.
Ihm traten Tränen in die Augen. »Wollt Ihr mir den Tod so erschweren«, rief er, »indem Ihr zuvor den Wert des Lebens ins Unermessene steigert?«
Die Kraft dieser Liebe überwältigte sie. »Ich weiß nicht, was daraus entstehen wird«, rief sie, »aber komm, Geliebter, an der Gartenpforte wollen wir sterben, wenn uns nichts anderes mehr übrigbleibt.«
Und keines von beiden widerstand mehr. Vom Feuer und Blut ihrer Jugend überwältigt, riß es sie hin, stürzte es sie hin, eins dem andern in die Arme, und raubte ihnen alle Besinnung, daß sie die Gefahr des Savoisy und ihre eigene, daß sie den Konnetable, daß sie Tod und Leben und alles vergaßen.
Während dieser Zeit hatte die Wache am Hauptportal ihre Botschafter nach dem Konnetable ausgeschickt, um ihn davon zu benachrichtigen, daß der Hecht ins Netz gegangen; umsonst habe ihn die Gräfin während der ganzen Messe und unterwegs mit Blicken und Zeichen zu verständigen gesucht, um ihn zu retten, seine Liebestollheit habe ihn blind gemacht.
Diese Boten begegneten ihrem Herrn bereits unterwegs, der sie aber gar nicht erst anhörte, sondern sich in großer Hast nach der Gartenpforte stürzte, weil ihn die Armbrustschützen der Ufermauer bereits verständigt hatten, daß Savoisy eben durch die kleine Pforte eingetreten sei.
Wirklich war Savoisy, wie verabredet, auf die Minute erschienen, und wie alle Verliebten einzig an seine Dame denkend, hatte er nichts von den Vorkehrungen des Grafen bemerkt und war unverweilt durch das Pförtchen geschlüpft. Ein solches Zusammentreffen von zwei Geliebten auf einmal konnte der Konnetable nicht ahnen. Mit einer heftigen Bewegung hatte er darum den Wächtern aus der Rue de Saint-Antoine das Wort vom Munde abgeschnitten mit einem kurzen: Er wisse schon, daß der Fuchs gefangen sei.
Und alle zusammen, Landsknechte, Armbrustschützen, die Hauptleute und der Konnetable, stürzten nach der Pforte, hinter der Charles de Savoisy, das verhätschelte Patenkind des Königs, verschwunden war. Sie erreichten ihn erst weit im Garten, just vor dem Fenster der Gräfin, so daß sein Aufschrei, so kurz er war, zu seiner Dame Ohren drang und sein Todesröcheln und das heulende Gebrüll der Soldaten sich vermischte mit ihren Schreien der Lust und dem Liebesgestöhn des Junkers in ihren Armen.
»Das war Savoisy, der für mich stirbt«, rief die Herzogin in bleichem Schrecken.
»So werde ich für Euch leben«, antwortete Boys-Bourredon; »wenn es aber nicht möglich ist, so will ich gern mein Glück mit demselben Preis bezahlen wie er das seine.«
»Geschwind in diese Truhe«, flüsterte sie, »der Konnetable kommt.« In diesem Augenblick trat der Herr von Armignac ins Zimmer. Seine ausgestreckte Hand hielt das Haupt des Erschlagenen, er stieß es blutend vor der zitternden Gräfin auf den Kaminsims.
»Madame«, sagte er, »dieser Anblick wird Euch lehren, nicht wieder die Pflichten gegen Euren Gemahl mit Füßen zu treten.«
»Ihr habt einen Unschuldigen getötet«, antwortete sie kalt.
»Savoisy war nicht mein Geliebter.«
Und die schöne Frau gab nun eine wahrhaft teuflische Probe von weiblicher Kühnheit und Verstellungskunst. Sie maß ihren Gemahl mit einem so stolzen Blick, daß er dastand, beschämt wie eine höhere Tochter, der in der Gesellschaft etwas Lautbares nach unten entschlüpft ist. Er fühlte sich ganz und gar als den Schuldigen.
»Von wem habt Ihr dann geträumt heute morgen?« fragte er bestürzt.
»Vom König«, antwortete sie kurz.
»Aber warum hast du mir denn das nicht gesagt, mein Liebchen?«
»Ihr würdet es mir schön geglaubt haben in Eurer bestialischen Wut.«
Einen Augenblick war der Konnetable sprachlos.
»Aber«, begann er wieder, »wie kommt es nur, daß Savoisy einen Schlüssel zur Gartenpforte hatte?«
»Was weiß ich!« versetzte sie trotzig. »Aber solange Ihr nicht soviel Achtung habt zu glauben, was ich sage, werde ich überhaupt nicht mehr mit Euch reden.«
Wie eine Wetterfahne, die der Wind bewegt, drehte sie sich auf dem Absatz um und machte sich daran, nach dem Hauswesen zu sehen, wie wenn sie im Leben keine
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