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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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und Exempel sein soll. Ich will nicht, daß mir die Schamröte auf die Stirne tritt, wenn ich einst meinen Töchtern einrede, daß unsre wahre Glückseligkeit allein in der Tugend liegt. Und sehet, hoher Herr, da wir mehr alte Tage haben als junge, müssen wir nicht öfter an jene denken als an diese? Durch diejenigen, so mich erzogen haben, habe ich das Leben nach seinem wahren Wert schätzengelernt und weiß, daß alles darin vergänglich ist, außer die ehrbaren Zuneigungen in der Familie. Ich bedarf der Achtung aller, am meisten aber der meines Gemahls, der für mich die Welt ist. Darum bin ich entschlossen, ehrbar zu bleiben in seinen Augen. Ihr kennt nun meinen Bescheid, hoher Herr, und so bitte ich Euch inständig, mich in Frieden meinen häuslichen Pflichten nachgehen zu lassen; wenn nicht, so will ich ohne Erröten alles meinem Herrn und Meister gestehen, der sich auf der Stelle von Euch zurückziehen wird.«

     
    Auf diese tapfere Rede hin wurde der Bruder des Königs nur noch verliebter, und er beschloß bei sich, der edlen Frau eine Falle zu stellen, wo sie unfehlbar, tot oder lebendig, in seine Gewalt fallen mußte. Er war sicher, daß ihm das vornehme Wild nicht entgehen werde. Denn er rühmte sich mit Recht einer großen Wissenschaft und Gelahrtheit in dieser Art Jagd und Venerie, der lustigsten von allen, wo man Witz und List aller andern Jagden brauchen kann, da, wohlgemerkt, das hübsche Wild sich auf alle Arten fangen läßt: mit der Hatz, mit Spiegeln und mit Lockfeuern, bei Nacht und bei Tag, in der Stadt und auf dem Lande, im Dickicht und an Flußufern, mit Netzen am Boden und mit hochsteigenden Falken, auf dem stillen Anstand und mit Hussasa und Halali, mit dem Schießgewehr und mit Lockvögeln, mit Angeln, mit Schleiern und Leimruten, mit Schalmeien und Hörnern, im Schlaf und im Flug, mit Fallen und Fangeisen, kurz, mit allen Listen und Hinterlisten, die man seit der Verbannung Adams aus dem Paradies erfunden hat. Und zuletzt erhalten sie den Gnadenstoß, die armen Opfer.
    Der königliche Frechling ließ also kein Wort mehr von seiner Liebe fallen, aber er wußte es so einzufädeln, daß die Dame von Hocquetonville ein Amt in der Hofhaltung der Königin übertragen erhielt. Und da begab es sich nun eines Tages, daß die mehrfach genannte Isabelle nach Vincennes ging, um den kranken König zu besuchen, also daß der Herzog als Herr des Palastes allein zurückblieb. Bestellte nun der königliche Fallensteller für diesen Abend beim Koch ein wahrhaft königliches Mahl und gab Befehl, daß es in den Gemächern der Königin aufgetragen wurde. Dann ließ er seine spröde Dame durch einen Pagen der Königin nach dem Schloß ordinieren. Die Gräfin von Hocquetonville dachte nicht anders, als daß sie in Angelegenheiten ihres Amts oder als Gast einer augenblicklich ersonnenen Belustigung von der Frau Königin gerufen werde, und kam in aller Eile herbei. Der heimtückische Liebhaber hatte Anstalt getroffen, daß niemand sie von der Abwesenheit ihrer Patronin unterrichten konnte, und so begab sie sich unverzüglich nach dem Saal des Palastes, der an das Schlafzimmer der Königin grenzte. Dort fand sie den Herzog von Orleans allein. Sie argwöhnte sofort ein tückisches Unternehmen und trat rasch in das Schlafzimmer, fand aber keine Königin, sondern hörte nur hinter sich das laute Lachen des Herzogs.
    ›Ich bin verloren‹, sprach sie bei sich.
    Dann wollte sie fliehen.
    Aber der ausgelernte Frauenjäger hatte überall ergebene Diener aufgestellt, die, ohne zu wissen, worum es sich handelte, alle Türen des Schlosses verriegelten und verbarrikadierten. Und wahrlich, die die Dame von Hocquetonville wäre in einer Wildnis besser daran gewesen als in diesem Palast, der so groß war, daß er ein ganzes Viertel von Paris einnahm, und wo sie sich, außer von Gott und den Heiligen, von aller Hilfe verlassen sah. Da befiel sie eine schlimme Ahnung, und schrecklich zitternd am ganzen Körper sank die arme Dame in einen Stuhl, während der Prinz, mit der heitersten Laune von der Welt, die Fäden, die er so fein gesponnen, zusammenzuziehen begann. Als aber der Herzog Miene machte, ihr nahezutreten, erhob sie sich, bewaffnete sich mit strengen Worten, und mehr als ihre Rede sagte ihr Blick.
    »Ihr werdet mich haben, aber nicht bei lebendigem Leibe«, rief sie aus. »Ach, hoher Herr, zwingt mich nicht zu einem Kampfe, dessen Ausgang keinen Zweifel leidet. Noch ist die Möglichkeit, mich zurückzuziehen, ohne daß

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